Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer unter dem Maulbeerbaum

Titel: Sommer unter dem Maulbeerbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
Vom Netzwerk:
gehabt, etwas Besonderes zu machen. Daher hatte sie bei den Markthallen angehalten und ein paar Pasteten mitgenommen in der Hoffnung, Matt würde glauben, sie habe sie selbst gemacht. Doch Matt verzehrte sein Essen schweigend und schien tief in Gedanken versunken - genauso wie Bailey.
    Ihr Kopf war voll von dem, was sie an diesem Nachmittag gelesen hatte. Jene sechs wundervollen Jungs! Es waren einfach nur sechs High-School-Schüler gewesen, denen die anderen Kinder das Leben schwer gemacht hatten. Doch als Gefahr im Verzug war, hatten sie ihr Leben riskiert, um die anderen Schüler zu retten. Welche Jugendlichen besaßen schon ein solches Verantwortungsbewusstsein?
    Sie konnte sich genau vorstellen, wie der lebensfremde, ungesellige Taddy gewesen sein musste. Sie hegte keinen Zweifel, dass die Fußballer der Schule ihn erbarmungslos gequält hatten. Und doch war der Junge aus einem Fenster geklettert, ein Abflussrohr heruntergerutscht und hatte sie alle gerettet.
    Und Kyle hatte sich eine Gasmaske organisiert und war geradewegs auf die Bombe zumarschiert. Was wäre gewesen, wenn sie hochgegangen wäre? Er hatte genügend Zeit gehabt, nach draußen zu kommen.
    Warum war er dann nicht einfach um sein Leben gerannt? Was für ein Interesse hatte er an einer Schule, in der die anderen Kinder ihn schikanierten und verspotteten?
    Wie konnte ein solcher junger Mann später Frau und Kinder verlassen?
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Vater einer der Goldenen Sechs war?«, fragte Bailey leise, blickte aber nicht zu Matt auf. Als er keine Antwort gab, hob sie den Kopf und sah, dass er bisher nur wenig gegessen hatte und in den Hühnchenstücken auf seinem Teller herumstocherte.
    »Es schien mir nicht wichtig genug«, erwiderte er nach einer Weile, dann legte er die Gabel hin und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich hätte auch diese Pasteten für dich holen können«, sagte er und gab ihr so zu verstehen, dass er wusste, sie hatte sie nicht selbst gemacht.
    »Ich hatte viel zu tun«, rechtfertigte sie sich, »da hatte ich nicht die Zeit ...« Sie unterbrach sich selbst, weil sie merkte, dass er nur das Thema wechseln wollte. »Warum hast du’s mir nicht erzählt?«
    »Seit wann interessiert du dich denn für die Goldenen Sechs?«
    Sein Tonfall war feindselig, und ihr war bewusst, dass er versuchte, sie hinzuhalten, doch Bailey gab nicht nach. »Wenn ich in dieser Stadt weiterleben will, sollte ich doch wohl etwas mehr wissen, als ich bis jetzt weiß. Heute habe ich Janice beleidigt. Ich habe einen Scherz über die Goldenen Sechs gemacht, und sie war stinkwütend. Patsy hat mir erzählt, dass dein Vater und der von Janice zu ihnen gehörten. Ich hatte wohl angenommen, das alles sei schon vor so langer Zeit geschehen, dass es keinen Bezug mehr zur Gegenwart hat. Aber das hat es doch.« Sie sah ihn an und fügte sanft hinzu: »Weißt du, warum dein Vater fortgegangen ist?«
    Matt gab keine Antwort, sondern stand auf und ging aus dem Zimmer.
    Bailey stieß einen tiefen Seufzer aus. Heute schien sie dazu bestimmt, andere vor den Kopf zu stoßen. Sie erhob sich, räumte den Tisch ab und stellte das Geschirr in die Spülmaschine. Als sie fertig war, drehte sie sich um, und da stand Matt mit einem Schuhkarton in der Hand.
    »Willst du dir ein paar Bilder ansehen?«, fragte er.
    »Ja«, erwiderte sie. Mit einem Lächeln der Erleichterung darüber, dass er nicht wütend war, folgte sie ihm ins Wohnzimmer.
    Er setzte sich aufs Sofa und gab ihr ein Zeichen, dass sie sich neben ihn setzen sollte. Zwischen ihnen hatte sich ein ungeschriebenes Gesetz eingebürgert, nach dem sie das Sofa bevorzugte und er den großen Sessel. Heute Abend jedoch saßen sie nebeneinander und Matt stellte den Schuhkarton auf den Couchtisch.
    »Ich hab nicht viel über ihn«, sagte Matt und nahm den Deckel ab. Der Karton war alt und abgegriffen; er hatte zu einem Paar Kinderschuhe, Größe 26, gehört. »Meine Mutter hat diese Fotos etwa ein Jahr, nachdem mein Vater uns verlassen hatte, weggeworfen. Nur durch Zufall habe ich sie bemerkt und aus dem Müll gefischt.«
    Zwar sagte Matt nichts davon, doch sie hatte so ein Gefühl, als habe er den Inhalt des Kartons noch nie jemandem gezeigt. Seine Hand zitterte leicht, als er den Deckel abnahm. »Ich war ganz verrückt nach meinem Vater. Er war fast nie zu Hause, aber wenn er da war, dann war er der absolute Mittelpunkt. Er war ...« Matt zögerte. »Er war ... lach mich bitte nicht aus, aber er war

Weitere Kostenlose Bücher