Sommer unter dem Maulbeerbaum
diese rhetorische Frage gab er keine Antwort. Stattdessen sah er sie genau an. »Warum interessiert Sie das so?«
»Das tut es gar nicht. Ich meine - das klingt jetzt gefühllos, aber ich habe mich überhaupt nicht für sie interessiert. Eigentlich hatte ich Violet nur nach dieser Farm gefragt, wem sie gehört hat und so weiter. Opal hat mich zu Violet geschickt und da erfuhr ich von den Goldenen Sechs.«
»Opal hasst Violet. Sie hätte Sie nie zu ihr geschickt«, sagte er.
»Das stimmt. Tut mir Leid. Ihre Tochter Carla hat es mir gesagt. Das heißt, sie hat mir einen Zettel zugesteckt. Warum hasst Opal Violet?«
Jetzt, wo sie das Thema gewechselt hatten, entspannte sich Matt wieder und lehnte sich zurück. »Violet hat nicht immer ausgesehen wie heute.«
»Und?«
»Raten Sie mal.«
»Ah. Der große Gleichmacher: Sex.«
Matt war erfreut zu sehen, dass sie ihn bei diesem Wort zum ersten Mal direkt ansah - so wie eine Frau einen Mann ansieht. Er vermutete, dass ihr gefiel, was sie sah, denn ihre Wangen färbten sich ein wenig rosig. Das Licht wurde zwar schon schwächer, doch er konnte erkennen, wie sie errötete und sich dann wieder ihren Erdbeeren widmete.
»Warum wollen Sie etwas über die Farm wissen?«, fragte er.
Er hörte zu, während sie ihm die Geschichte erzählte, die er schon von Patsy kannte, dass ihr Mann gestorben sei und ihr die Farm hinterlassen habe. Doch er achtete weniger auf die Worte als vielmehr auf ihren Tonfall. Als sie sagte »mein Mann«, da klang es nicht, als spräche sie von einem Toten. Sie sprach von einem Mann, von dem sie jeden Moment zu erwarten schien, dass er den Pfad hinunterspaziert kam.
»Kann ich mich Ihnen anvertrauen?«, fragte sie und sah ihn in dem zunehmenden Dämmerlicht an. »Sie werden nicht ...«, begann sie, doch sein Gesichtsausdruck hielt sie davon ab, ihn zu fragen, ob er es der ganzen Stadt weitererzählen würde.
Einen Augenblick lang zögerte er, er hatte den Eindruck, dass sie ein großes Geheimnis in sich barg und jetzt überlegte, wie viel sie ihm mitteilen konnte. Er hätte sie beruhigen können, tat es aber nicht. Sie sollte sich ihr eigenes Urteil bilden.
»Ich möchte mehr über meinen Mann in Erfahrung bringen«, sagte sie schließlich. »Ich war jahrelang mit ihm verheiratet und dachte, ich würde ihn kennen, aber er hat nie über seine Kindheit gesprochen. Das hat zwischen uns immer gefehlt. Aber nach seinem Tod sagte man mir, er habe mir dies hier vermacht.« Sie deutete auf die Farm. »Es ergibt keinen Sinn. Warum hat er sich geweigert, mir irgendetwas zu erzählen, als er noch lebte, mir dann aber dieses Anwesen hinterlassen und dazu einen Brief, in dem er mich bittet herauszufinden, -was wirklich passiert ist Wenn er wollte, dass ich alles über ihn weiß, warum hat er sich dann nicht mit mir hingesetzt und darüber gesprochen, als er noch lebte?« Für einen Moment sah sie auf ihre Hände hinunter, dann wieder zu ihm hinauf. »Es ist schon seltsam, so intim mit einem Mann gewesen zu sein und dann festzustellen, dass man sich überhaupt nicht nahe stand. In den Wochen nach seinem Tod ist nichts über diese Farm aufgetaucht, kein Foto, nichts Schriftliches, gar nichts.«
Er sah zu, wie sie sich bemühte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen - und versuchte, auch seine eigenen zu beherrschen. Er hasste sich dafür, aber er war eifersüchtig auf ihren toten Mann.
»Wie viel verstehen Sie von Computern?«, fragte er. Dann sah er, dass er sie erschreckt hatte.
»Ungefähr so viel wie Sie von Erdbeeren.«
»Nichts vom Internet?«
»Nun, wie der Zufall es will«, erwiderte sie mit einem Lächeln, »hat die Frau von Jimmys Anwalt mir gezeigt, wie man übers Internet Sachen bestellt.«
Matt stöhnte. »Kommen Sie, helfen Sie mir auf, dann gehen wir nach oben, schließen meinen Computer an und sehen zu, was wir über diese Farm in Erfahrung bringen können.«
»In Erfahrung bringen?«, wiederholte sie und bekam große Augen.
»Ja. Sehen wir nach, wer das Eigentumsrecht auf die Farm hat.«
»Aber ...«, begann sie, dann bewegte sie sich von ihm fort.
»Also gut«, sagte er. Er blieb sitzen und schaute zu ihr auf. »Stellen wir mal eins zwischen uns klar. Ich mag zwar in einer Kleinstadt geboren und aufgewachsen sein, aber ich erzähle nicht jedem alles weiter.« Er hob die rechte Hand. »Ich schwöre, dass alles, was wir herausfinden werden, unter uns bleibt.« Er sah sie ernst an. »Also dann«, sagte er. »Sind wir uns
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