Sommerbuch
Großmutter vorsichtig.
Sophia stand auf und putzte sich die Nase. »Jetzt, also jetzt werde ich erzählen, wie die Sache war. Setz dich hin und hör zu, was ich sage. Als Vater zu ihnen hinkam, wollten sie, daß er eine ganze Flasche Sechsundneunzigprozentigen kauft, und die war sehr teuer. Und jetzt bist du der Vater. Sag, was er sagte .«
»Er sagte, sehr stolz: »Das ist unter meiner Würde. Die kann ich auch selbst finden, wenn ich Lust habe, oder bei Lebensgefahr aus dem Meer holen. Übrigens findet meine Familie, so was schmeckt nicht besonders .« Und jetzt du.« — »Na so was mein Herr, und Sie haben Familie? Und wo haben Sie denn diese Familie ?« — »Die ist woanders .«
Sophia rief: »Aber wir waren doch nicht woanders. Warum hat er nicht gesagt, daß wir hier waren ?«
»Um uns zu retten .«
»Wieso? Wieso muß man gerettet werden, wenn endlich etwas los ist? Du führst mich an. Man braucht doch nicht gerettet zu werden, wenn die Tanzmusik machen !«
»Nur im Radio«, sagte die Großmutter. »Nur Radio. Sie haben nur den Wetterbericht abgewartet und die Nachrichten. Sie wollten nur wissen, ob die Polizei ihnen auf der Spur sei .«
»Du führst mich an«, rief Sophia. »Um ein Uhr nachts gibt es gar keine Nachrichten. Die haben gefeiert und sich amüsiert, und wir waren nicht dabei !«
»Wie du willst«, sagte die Großmutter und war ärgerlich. »Sie haben gefeiert und haben sich amüsiert. Wir feiern aber nicht mit jedem !«
»Aber ich tue es«, sagte Sophia drohend. »Ich feiere mit jedem, Hauptsache ist, ich darf tanzen. Vater und ich sind eben so .«
»Bitte schön«, antwortete die Großmutter und ging am Ufer entlang. »Feiert mit Schurken so viel ihr wollt. Hauptsache, ihr brecht euch nicht die Beine, der Rest ist nicht so wichtig .«
Das Boot hatte den Abfall über Bord geworfen, einen teuren Abfall, man konnte genau sehen, was sie getrieben hatten! Das meiste war am Felsen angespült. »Apfelsinen und Bonbons. Und Krebse«, sagte Sophia mit Betonung.
»Schurken sind bekannt dafür, daß sie Krebse essen«, bemerkte die Großmutter, »wußtest du das nicht ?«
Sie hatte die Sache jetzt satt und das Gefühl, das Gespräch hätte pädagogischer verlaufen müssen. »Und im übrigen, was hindert einen Schurken, nicht Krebse zu essen ?«
»Du redest über verkehrte Dinge«, erklärte Sophia. »Denk doch mal selbst nach. Ich rede darüber, daß Vater mit den Schurken Krebse gegessen und uns dabei vergessen hat. So hat doch alles angefangen .«
»Ja, ja, ja«, sagte die Großmutter. »Erfinde selbst was, wenn du meine Geschichte nicht glaubst .«
Eine leere Flasche schwappte ruhig gegen den Felsen. Es ließ sich ja denken, daß er es gar nicht vergessen hatte, aber er fand, mal allein zu sein, wäre auch ganz schön. Eigentlich recht verständlich.
»Jetzt weiß ich es«, brach Sophia aus. »Die haben ihm Schlaftabletten gegeben. Gerade als er uns holen wollte, bekam er ganz viel Schlaftabletten in sein Glas, und deswegen schläft er jetzt auch so lange .«
» Nembutal «, schlug die Großmutter vor, die gern schlief. Sophia starrte sie mit aufgerissenen Augen an.
»Red nicht so !« schrie sie. »Stell dir vor, wenn er nie wieder aufwacht !« Sie machte heftig kehrt und rannte los, hüpfte und sprang, während sie laut heulte, so erschrocken war sie, und gerade in dem Augenblick, gerade dort, auf dem Fischkasten, und sicherheitshalber mit einem Stein beschwert, lag der riesige Kasten Schokolade. Es war ein riesiger, rosa und grüner Karton, verziert mit einer Silberschnur. Die starken Farben tauchten die Landschaft ins Grau, und es gab keinen Zweifel: diese wunderbare Schachtel war ein Geschenk! In der Schleife lag ein kleiner Brief. Die Großmutter setzte die Brille auf und las »Einen freundlichen Gruß an alle, die zu alt oder zu jung sind, um dabeisein zu dürfen .«
»Taktlos«, murmelte sie zwischen den Zähnen.
»Was steht dort? Was haben sie geschrieben ?« rief Sophia.
»Folgendes«, sagte ihre Großmutter, »sie haben geschrieben: »Wir haben uns wirklich schlecht benommen, und alles ist unsere Schuld, wir bitten um Verzeihung, wenn möglich .« «
»Ist es möglich ?« fragte Sophia.
»Nein«, sagte die Großmutter.
»Doch. Wir sollten ihnen verzeihen! Gerade Schurken sollte man immer verzeihen! Wie gut, daß es wirklich Schurken waren! Meinst du, die Schokolade ist vergiftet ?«
»Nein, das glaube ich nicht. Und es waren sicher auch ziemlich schwache
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