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Sommerfalle

Sommerfalle

Titel: Sommerfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debra Chapoton
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Zunächst hatte seine Mutter das nicht bemerkt, weil sie wie gebannt vor ihrer Soap-Opera saß. Doch bei der nächsten Werbepause drehte sie den Ton herunter und beobachtete, was ihr Sohn gerade machte. Statt ihm anzubieten, mit ihm gemeinsam zu spielen, verspottete sie ihn für sein kindisches Spiel. Er murmelte ein paar erstaunliche Sätze.
    »Was hast du gesagt?«, baute sie sich drohend über ihm auf.
    Eddie zog die nächste Karte und teilte den Spielzug zwischen zwei roten Figuren auf. Dann zog er wieder eine Karte und fluchte erneut.
    »Halt deine Zunge im Zaum!«
    Eddie ignorierte sie und spielte weiter. Rot würde wieder gewinnen, da war er sich sicher. Die nächste Karte kommentierte er wieder mit einem Schimpfwort.
    »Das war’s. Ab auf dein Zimmer.« Sie hob das Spielbrett an und ließ alle Figuren samt Karten in die Schachtel rutschen. Eddie rührte sich nicht. Manchmal machte sie ihre Drohungen nicht wahr, wenn er stillhielt. Seine Mutter kehrte auf ihren Platz zurück und stellte den Fernseher wieder laut. Die Leute auf dem Bildschirm schienen sie letztlich mehr zu interessieren, und so vergaß sie Eddie, der auf dem Fußboden neben der Spieleschachtel ausharrte.

Rebecca wurde nur langsam wach. Sie fühlte sich gerädert, und in der Hütte herrschte schummriges Licht. Nur oben an den Wänden, wo das Mauerwerk endete und morsche Dachbalken locker auflagen, drang etwas Licht herein. Und zwischen manchen Steinen klafften größere Lücken. Der breite Spalt unter der Tür sah aus wie ein helles Band.
    Ihr Verstand war noch träge, sie konnte sich keinen Reim auf ihre Umgebung machen. Sie tauchte noch einmal ab in einen Traum: Sie sprintete auf einem Sportplatz, er wurde zu einem Waldweg, sie benutzte ihre Hände, um schneller vorwärts zu kommen, dabei riss sie ganze Grasbüschel aus. Schließlich verwandelte sich das Gras in Rosen. Sie wirbelte herum, um einige der Blumen zu pflücken und sie um ihr Handgelenk zu flechten.
    Plötzlich erwachte sie und setzte sich abrupt auf. Sie griff nach ihrem Handgelenk, fühlte den Verband und die Uhr. Ihre Gedanken kreisten um die Dinge, die ihr nun klar waren: Man hatte ihr Schlafmittel verabreicht. Jemand, der sie kannte, quälte sie. Panisch stürzte sie zur Tür, warf sich mit der rechten Schulter dagegen – und prallte zurück.
    Sie war erneut eingesperrt.

    Mrs. Randazzo war Beckys Lieblingslehrerin in der Zehnten. Englisch war ihr letztes Fach an jenem Tag, und abgesehen von der Tatsache, dass ihre Intimfeindin Tiffany denselben Kurs besuchte, mochte sie ihn sehr. Mrs. Randazzo bewertete alle Arbeiten sehr fair und verstand es, einen immer zu ermutigen, statt einfach alles mit roter Tinte vollzuschmieren. Außerdem war ihr Unterricht spannend und witzig, Becky mochte sie richtig gern. Daher vertraute sie ihr auch ihre geheimsten Gedanken an. Sie schrieb kein normales Tagebuch, sondern drehte immer erst die Musik laut auf, setzte sich dann auf den Boden ihres Zimmers und brachte so all ihre Träume und auch Enttäuschungen in Versform zu Papier.
    »Mrs. Randazzo«, fragte Becky sie eines Montags nach dem Unterricht, »haben Sie meine Gedichte schon gelesen?«
    »Becky, ich bin wirklich beeindruckt«, sagte sie und griff in eine Schublade ihres Schreibtischs, um eine Mappe herauszuholen. »Ich habe es nicht gewagt, hineinzuschreiben, und meine Anmerkungen deshalb auf Extrablättern gemacht. Einige deiner Verse sind wirklich ergreifend. Deine Gefühle sprechen aus jedem deiner Worte.«
    Becky strahlte. »Ich bin froh, dass sie Ihnen gefallen.« Sie nahm die Mappe entgegen und warf einen kurzen Blick auf ihre Texte und auch auf die Notizen der Lehrerin.
    »Weißt du«, fuhr Mrs. Randazzo fort, »du bist keineswegs die einzige Jugendliche, die sich … einsam fühlt. Die meisten in deinem Alter empfinden ganz genauso. Ich habe einen Schüler in meinem Morgenkurs, der dein emotionaler Zwilling sein könnte. Er hat ein paar Geschichten geschrieben, die deinen Gedichten sehr ähneln.«
    »Wer denn?«
    »Oh, das sage ich dir lieber nicht.« Mrs. Randazzo grinste. »Ich will ja nicht riskieren, dass seine Mutter mich verklagt oder Ähnliches.« Sie lachte. »Aber versäumst du nicht deinen Bus?«
    »Heute nicht. Ich habe einen Termin beim Zahnarzt. Also, vielen Dank, dass Sie das gelesen haben.«
    »Aber gerne. Wenn du weiterschreibst, gucke ich mir deine neuen Texte auch gern an. Es macht mir Spaß, wenn ich etwas einmal nicht benoten muss.«
    Becky zögerte einen

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