Sommerfalle
hast, Anzeichen von, sagen wir mal so, von Stress sein könnten. Von einem Druck, der stärker als bei einem durchschnittlichen Teenager zu sein scheint. Möchtest du vielleicht darüber reden?«
Eddie spürte, wie der Raum um ihn immer kleiner wurde. Das musste Mrs. Randazzo gewesen sein. Sie hatte ihn verraten. Und jetzt saß er hier, nein, er schwitzte hier und versuchte, einen Ausweg zu finden. Er würde jetzt Mr. Blanchard ansehen und einen ganzen zusammenhängenden Satz rausbringen müssen.
Konzentrier dich, sagte er zu sich selbst.
»Mr. Blanchard, Sie müssen Mrs. Randazzo meinen. Meine Aufsätze scheinen sie erschrocken zu haben. Aber sie bedeuten nichts. Tut mir leid. Soll nicht wieder vorkommen. Kann ich jetzt gehen?« Eddie mühte sich, ein Lächeln zustande zu bringen. Es musste ihm gelungen sein, der Vertrauenslehrer lächelte zurück.
»Klar, Eddie, und lass mich wissen, was deine Mom zu deinen Collegeplänen sagt.«
Eddie ging, auf seiner Stirn standen winzige Schweißperlen. Es war für ihn anstrengend, so viele Wörter aneinanderzureihen und laut auszusprechen.
Für den Rest des Schuljahres würde er nur noch Standardaufsätze in Englisch schreiben.
Rebecca redete sich immer weiter ein, dass es Mike wäre. Jetzt hatte sie tatsächlich weniger Angst. Sie würde mit ihm reden und ihn zur Vernunft bringen können. Er würde sie nie ernsthaft verletzen, da war sie sich sicher.
Sie verspürte sogar eine gewisse Erleichterung.
Ihre Gedanken gingen zu ihrem Freund und ihren Eltern. Sie fehlten ihr so. Josh machte sich bestimmt Sorgen. Sarah hatte ihn sicher als ersten angerufen. Sie fragte sich, ob man ihre Eltern in der Karibik erreicht hatte. Wie lange wurde sie jetzt schon vermisst? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, aber es waren wohl erst gute vierundzwanzig Stunden. Man hatte bestimmt schon überall nach ihr gesucht und alle Welt angerufen. Ihre Eltern würden vor Sorge garantiert verrückt. Dann überlegte sie sich, dass vielleicht niemand etwas bemerkt hatte. Vielleicht hatte Sarah gedacht, sie hätte sie bloß versetzt, und keinen Menschen angerufen. Vielleicht wusste gar keiner, dass sie fort war. Oder wo sie sein konnte. So wie sie selbst es auch nicht wusste.
Möglicherweise gab es in der Hütte irgendetwas, das ihr einen Hinweis geben konnte. Sie warf einen Blick auf die Tüte mit den Lebensmitteln auf der Arbeitsplatte in der Küche. Es stand nichts darauf. Sie ging zum Kühlschrank und suchte darin nach Indizien. Auf einem Produkt klebte ein roter Aufkleber mit »Bezahlt« und »Ken’s Village Market«. Alles andere trug nur standardisierte Preisschilder rein mit Zahlen. Sie hatte noch nie von Ken’s Village gehört, aber vielleicht war das auch kein Ortsname, sondern von einem Laden.
Sie ging zum offenen Kamin. Auf dem Sims lagen Zeitschriften. Sie nahm sie eine nach der anderen zur Hand und suchte nach Adressaufklebern. Nichts.
Als Nächstes sah sie sich die gerahmten Bilder an der Wand an. Es waren historische Fotografien von Bergwerken und der Holzfällerei. Auf dreien waren Bahnhöfe zu sehen: Pellston, Indian River und Mackinaw City.
Na immerhin, dachte sie, von Mackinaw habe ich schon mal gehört. Die Bilder zeigten das nördliche Michigan, also stand auch diese Hütte aller Wahrscheinlichkeit nach dort.
Sie ging zurück in die kleine Küche und öffnete alle Schränke, doch sie entdeckte nichts weiter, was ihr geholfen hätte.
Weiter ins Badezimmer. Das Medikamentenschränkchen. Eine Glasdose mit verschreibungspflichtigen Tabletten. Der Patientenname war mit Filzstift ausgestrichen. Seltsam. Sie hielt sie gegen die Glühbirne und starrte darauf. Unleserlich. Die Adresse der Apotheke war jedoch lesbar: Indian River. Michigan.
Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Entführer. Es musste einfach Mike sein. Hatte sie nicht mal gehört, wie er jemand davon erzählt hatte, seine Sommerferien an irgendeinem großen Fluss im Norden verbracht zu haben? Ihr Herz klopfte heftig, als ihr das einfiel, aber ihre Vernunft ermahnte sie, ruhig zu bleiben. Mit Mike würde sie fertigwerden.
Da sie sowieso nichts anderes zu tun hatte, beschloss sie, im Schlafzimmer nach weiteren Indizien zu suchen.
Josh hatte Angst. Es war jetzt genug Zeit vergangen, dass Sarah und er endlich eine Vermisstenanzeige erstatteten. Die lokalen Fernsehsender brachten die Neuigkeit als Hauptnachricht am Abend zu jeder vollen Stunde, nicht ohne reißerische Eigenwerbung: Es wird befürchtet, dass ein
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