Sommerfest
auf den Weg nach vorne macht. Seine Mitspieler fordern den Ball, aber der Hüne läuft weiter, bis er vor Murat steht, der sich, obwohl um einiges kleiner, nicht einfach überlaufen lässt und dem anderen den Ball praktisch vom Fuß nimmt. Der Große sieht ziemlich dämlich dabei aus, bleibt stehen und flucht, während Murat den Ball nach vorne treibt, wieder auf den Blonden passt, der nach innen zieht, wo jetzt viel Platz ist, weil einer fehlt. Der Blonde hat nur noch den Torwart vor sich und schiebt ihm den Ball durch die Beine. Jubel.
Stefan sieht, dass der Große irgendwas zu Murat sagt. Murat macht eine wegwerfende Handbewegung.
So geht das Spiel weiter. Die TuS rennt an, kommt aber nicht in den Strafraum der Spielvereinigung. Murat zieht die Fäden im Mittelfeld, übertreibt es aber nicht mit Dribblings, die den Gegner unnötig demütigen. Er erzielt ein Tor per direktem Freistoß, den er aus etwa fünfundzwanzig Metern über die Mauer ins rechte Eck schlenzt, und bereitet ein weiteres vor. Mit drei zu null geht man in die Pause.
Auf dem Weg in die Kabine gibt es wieder Ärger. Der Hüne hat irgendein Problem mit Murat, beschimpft ihn auf Türkisch und muss von Mannschaftskollegen beruhigt werden.
Thomas Jacobi steht schon wieder am Bierstand. Karin, Charlie und Frank Tenholt stehen neben Stefan, als Toto Starek dazukommt, der sich während des Spiels praktisch überall herumgetrieben hat. Einfach dastehen und zugucken, das ist nicht Toto Stareks Sache. Mehrmals muss der den Platz umrundet haben, denkt Stefan, um möglichst vielen Leuten auf die Nerven gehen zu können. Jetzt packt er Stefan am Handgelenk.
»Ey, Schauspieler«, sagt Toto, »komm mal mit, ich muss dir einen vorstellen.«
»Toto, ich warte eigentlich gerade auf mein Bier!«
»Bier kriegst du heute noch genug. Ich hab was Besseres für dich!«
»Was Besseres als Bier?«
»Leben, Alter, echtes Leben!«
Stefan will nicht, kann sich aber Toto Starek nicht entziehen und lässt sich schließlich zum echten Leben schleppen. Das echte Leben ist etwa sechzig Jahre alt und sitzt an einem der Tische unter dem Vordach an der langen Seitenfrontdes Vereinsheims und trinkt Bier. Vorhin hat es noch neben dem Eingang zum Vereinsheim Wertmarken verkauft.
»Das ist der Jürgen«, sagt Toto Starek.
Das echte Leben, das auf den Namen Jürgen hört, nickt und gibt Stefan die Hand. Toto und Stefan nehmen Platz.
»Der Jürgen kümmert sich hier um alles«, sagt Toto Starek. »Und wenn ich alles sage, dann meine ich alles. Der springt als Trainer ein, wenn mal einer krank ist. Bei den Kleinen macht der das wenigstens, die müssen sich doch bewegen und so, sonst hocken die doch nur vor der Glotze oder vor dem Computer. Ja, ist doch so! Jedenfalls macht der Jürgen hier auch sauber und repariert Sachen oder steht hinterm Tresen oder in der Küche, wenn sich mal wieder nicht genug Mütter melden. Ey, ich sag dir, gerade die von der F-Jugend, von der aktuellen, sind sich zu schade oder was weiß ich, jedenfalls funktioniert das hier nicht richtig, und auch da springt der Jürgen ein. Der fährt die Kinder von X nach Y, holt die von der Schule ab, fährt die zum Training und zu den Spielen, kümmert sich um die Blagen, wenn die mal Probleme haben und so was alles. Und was kriegt er dafür? Was meinst du, was er dafür kriegt? Ich kann dir sagen, was der Jürgen dafür kriegt: Ein müdes Arschgrinsen, das kriegt er dafür.«
»Toto, halt mal den Ball flach!«, brummt Jürgen in Stimmlage Schmirgelpapier.
»Ist doch so, Jürgen! Du reißt dir hier den Arsch auf, und keiner dankt es dir.«
»Das kannst du so nicht sagen, Toto!«
»Der Jürgen hat auch mal bessere Zeiten gesehen. Erzähl dem Stefan doch mal, was du früher gemacht hast, Jürgen!«
»Was soll ich dem denn erzählen?«
»Wie du noch auf der Henrichshütte warst. Was hast du da gemacht? Sag doch mal!«
»Controlling.«
»Controlling hat der gemacht!«, sagt Toto Starek, als wüsste er, was das ist. »Und wo genau?«
»In der Schmiedehütte, Toto.«
»Controlling in der Schmiedehütte! Das hat der Jürgen gemacht. Dann war die Hütte pleite und wurde aufgekauft von einem Schmiedekonsortium oder so. Richtig, Jürgen?«
»So ungefähr.«
Das Ganze wirkt fast wie eine einstudierte Nummer der beiden, denkt Stefan.
»Und die haben gesagt, die Zahlen sind scheiße, da müssen wir zu viel reinpumpen, das bringt uns nichts mehr, also machen wir die Hütte dicht. Von heute auf morgen, einfach so.
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