Sommerflammen
winkte ihm. Damit war auch der letzte Rest Arger verflogen, den weder der Lauf noch Gulls Anwesenheit hatten verscheu chen können.
Plötzlich steigerte ihr Laufpartner das Tempo. Sie beschleunigte ihre Schritte, um mit ihm gleichzuziehen, wohl wissend, dass er sie auf die Probe stellte. Andererseits liebte sie Wettkämpfe und ging keinem aus dem Weg.
In der dritten Runde wurden ihre Schritte länger. Sie nahm die Arme mit, und ihr Atem ging stoßweise. Die Sonne, die laut Wetterbericht noch für Temperaturen um siebenundzwanzig Grad sorgen würde, brachte sie ins
Schwitzen. Sie fühlte sich lebendig, gefordert, glücklich. Dann zwinkerte ihr Gull zu und ließ sie in einer Staubwolke zurück. Er schien eine Art Extragang zu besitzen, dachte sie. Das war sein Geheimnis. Wenn er den einlegte, war er sofort über alle Berge.
Sie legte ebenfalls einen Zahn zu, merkte aber, dass sie ihn nicht mehr einholen konnte. Doch sie war schnell genug, um sich nicht zu blamieren. Die Anstrengung auf den letzten achthundert Metern machte sie ein wenig schwindelig, und ihr Atem ging pfeifend, als sie sich in das Gras neben der Laufbahn warf.
»Du holst dir einen Krampf. Los, Ro, du weißt es doch besser.« Er war außer Atem. Nicht so wie sie, aber er war außer Atem, und das tröstete sie ein wenig.
»Nur eine Minute«, stieß sie hervor, doch er packte sie an den Händen und zog sie hoch.
»Gehen, Ro!«
Sie ging langsam geradeaus, bis sich ihr Puls beruhigt hatte, und schüttete sich Wasser aus der mitgebrachten Flasche direkt in die Kehle. Dann balancierte sie auf einem Bein und dehnte die Oberschenkel, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ. Er hatte geschwitzt, was ihm verdammt gut stand. »Sieht ganz so aus, als hättest du einen Motor in deine Nikes einbauen lassen.«
»Dein Motor ist auch nicht ohne. Außerdem bist du nicht mehr sauer oder deprimiert. War das dein Vater, der uns gerade überflogen hat?«
»Ja. Woher weißt du, dass ich genervt und deprimiert war?«
»Es stand dir ins Gesicht geschrieben. Ich brauchte dich nur anzusehen und wusste, wie du dich fühlst.«
»Ich geh in den Kraftraum.«
»Dehn lieber deine Oberschenkel noch ein wenig.«
Wieder wurde sie langsam gereizt. »Wer bist du? Mein Lauftrainer?«
»Jetzt werd nicht gleich sauer, bloß weil ich gemerkt habe, dass du sauer bist.«
»Von mir aus, aber nur weil du ausnahmsweise mal recht hast.« Sie dehnte einen Oberschenkel.
»Nach dem, was ich so gehört habe, hast du allen Grund dazu.«
Sie hob den Kopf und sah ihn eisig an.
»Ich darf das mal kurz zusammenfassen.« Er öffnete die Tasche, die er am Rand der Laufbahn liegen gelassen hatte, und nahm eine Flasche Wasser heraus. »Matts Bruder und die blonde Köchin sind letzten Sommer häufiger zusammen in die Kiste gehüpft. Angeblich soll die diesbezüglich begabte Köchin das auch mit anderen getan haben.«
»Überaus begabte.«
»Was eine Umschreibung dafür ist, dass sie ziemlich wahllos herumgevögelt hat.«
»Höflich ausgedrückt.«
»Ich bin gut erzogen. Aber auch Jim scheint seine Zuneigung großzügig verteilt zu haben.«
»Ich weiß, worauf du hinauswillst.«
»Trotzdem«, fuhr Gull fort, »hat die Köchin festgestellt, dass sie in Jim verliebt ist - das weiß ich zumindest von Lynn, die es wiederum von Dolly weiß. Die hat so einige Herzen gebrochen, als sie ihre Gunst nur noch Jim widmete. Dabei scheint sie Augen und Ohren vor der Erkenntnis verschlossen zu haben, dass ihre Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhten.«
»Du solltest einen Roman schreiben.«
»Den Gedanken hatte ich auch schon. Gegen Ende eines langen heißen Sommers wird die Köchin schwanger, was kein Zufall war, den Gerüchten zufolge, da sie bis dahin stets entsprechende Vorkehrungen getroffen hatte.«
»Gut möglich.« Auch diese Möglichkeit hatte sie bereits in Betracht gezogen, was sie nur zusätzlich deprimierte.
»Traurig«, sagte er nur. »Die Köchin behauptet, Jim von ihrer Schwangerschaft erzählt zu haben. Dieser hätte sich riesig über die Nachricht gefreut. Obwohl ich ihn nicht gekannt habe, kommt mir das merkwürdig vor. Sofort wurden Heiratspläne geschmiedet. Noch merkwürdiger. Am allertraurigsten ist jedoch, dass Jim bei einem Fallschirmsprung ums Leben kommt, wofür er nachweislich ganz allein verantwortlich war. Die Köchin gibt jedoch der Sprungpartnerin, sprich dir, die Schuld und versucht, dich mit einem Küchenmesser zu erstechen.«
»Sie wollte mich nicht wirklich
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