Sommerflimmern (German Edition)
Sprossen noch ein bisschen zu verlängern.
Leo legt den Arm um meine Schulter. »Warte, bis du es von innen gesehen hast.« Er schnalzt mit der Zunge. »Das ist die reinste Luxushütte. Whirlpool, Sauna, Komfortküche vom Feinsten, Terrasse mit Wahnsinns-Bergpanorama und vier Schlafzimmern.«
Das Wort VIER betont er, als wollte er andeuten, dass er mich auch heute nicht bedrängen werde. Dass er es mir überlässt, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen. Dafür bin ich dankbar, denn diesmal will ich mir ganz sicher sein. (Nicht, dass meine bisherigen Erfahrungen – die sich übrigens an einer Hand abzählen lassen – so miserabel gewesen wären, nein, sie waren ganz nett, ganz okay, Erfahrungen eben und nicht mehr. Kein WOW!) Doch Leo ist etwas Besonderes, mit ihm will ich endlich das WOW! erleben. Entweder WOW! oder gar kein Sex.
»Was grinst du so?« Hast du etwas vor?, fragen seine Augen.
Nichts, wofür wir vier Schlafzimmer bräuchten, antworten meine, aber meine Lippen sind verschlossen. Ich zucke mit den Schultern und sperre die Haustür auf.
Der Holzboden im Flur duftet so intensiv nach Wald, dass ich mich nicht wundern würde, auf äsende Rehe zu stoßen. In der Küche gesellt sich der Geruch nach geputzten Fenstern dazu und nach einer Farbe, die noch nicht lange trocken sein kann.
»Hast du an die Sahne gedacht?«, fragt Leo, als ich die Erdbeeren in den Kühlschrank räume. Erdbeeren und Sahne hat Jasper auf meine Liste geschrieben, die Liste der zu besorgenden Dinge.
»Ohne Erdbeeren mit Sahne keine schwedische Mittsommernacht«, sagte Jas.
»Mist. Vergessen!« Ich bereue schon, dass ich mich darauf eingelassen habe, Zoes Lover die Planung des Festes anzuvertrauen. Schließlich ist es UNSER Fest, das von Zoe und mir. Wir beide haben das Abitur bestanden, wir beide schweben seit einer Woche auf der Nie-mehr-Schule-Wolke sieben. Dass unsere Party in der Mittsommernacht stattfindet, ist reiner Zufall. Und wenn Jas nicht Schwede wäre und auf die Bräuche seiner Heimat abfahren würde, hätten wir es vermutlich gar nicht bemerkt.
»Sahne gibt es bestimmt im Tante-Emma-Laden«, sagt Leo. Sofort erklärt er sich bereit, ins Dorf zu fahren und welche zu kaufen, obwohl das mein Job wäre. (Auf seiner To-do-Liste stehen die Zutaten für Heringssalat.)
Am Anfang unserer Beziehung habe ich bei derartigen Demonstrationen von Hilfsbereitschaft misstrauisch reagiert. Habe ihn verdächtigt, dass er sich nur bei mir einschleimen will, wie er sich bei meinem Vater eingeschleimt hat, um sich unentbehrlich zu machen. Und bei Dad hat das prima geklappt. Obwohl Leo noch mitten im Studiumsteckt, hat er bereits eine feste Stelle in unserem Architekturbüro in Aussicht. Als er begonnen hat, mit mir auszugehen, war ich hin und her gerissen. Einerseits habe ich seine Aufmerksamkeiten genossen, andererseits konnte ich mir lange nicht vorstellen, dass es ihm wirklich um MICH ging, um die kleine, unscheinbare Paula. Okay, ich bin weder dumm noch hässlich, aber ich habe keinerlei herausragende Eigenschaften. Meistens werde ich einfach übersehen, speziell, wenn ich mit Zoe unterwegs bin. (Sie ist es, der die Jungs nachpfeifen. Sie ist groß, blond, sexy. Ich bin nur ein Schatten.)
»Der meint es ernst mit dir«, hat Zoe mir schon bei ihrer ersten Begegnung mit Leo zugeflüstert. Inzwischen möchte ich auch glauben, dass er nicht an der Tochter des erfolgreichen Unternehmers und Architekten Toni Koslowski interessiert ist, sondern an mir, der Paula. Und deshalb nehme ich sein Angebot, Sahne zu besorgen, ganz einfach an. »Danke. Nett von dir.«
»Ach was, ich wollte sowieso ins Dorf. Muss den Baufortschritt der Hotels überprüfen.«
ARGH. Ein Auftrag meines Dads also. Mein Lächeln bröckelt. Ich revidiere. Leo liebt mich, bestimmt, aber sein zukünftiger Job und mein Dad sind ihm wichtiger. Wenigstens versucht er nicht, es zu verbergen.
Während er sich auf den Weg macht, nutze ichdie Zeit und das Traumwetter zu einer Erkundungstour in die Umgebung. Für alle Fälle nehme ich meinen Zeichenblock mit, womöglich bietet die Berglandschaft interessante Motive.
Wenige Meter oberhalb des Ferienhauses zweigt ein schmaler Weg von der Forststraße ab und führt steil bergauf.
Flötzer Moorsee: 35 Minuten, Flötzer Alm: 50 Minuten, Flötzer Kogel zwei Stunden, lese ich auf einem halb verwitterten Wegweiser.
Die Sonne knallt auf meinen Kopf, bald kullern Schweißtropfen nackenabwärts. Ich bin schon völlig aus der Puste,
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