Sommerflimmern (German Edition)
einfallen, wenn du dich entschlossen hast, dir dein Leben zu verbauen?«
»Bitte beruhigt euch, ihr beide. Das hat so doch keinen Sinn«, sagt meine Mutter matt.
»Ach, Mama …« Ich gehe zu ihr rüber, lehne mich zu ihr runter und drücke sie an mich. »Tut mir leid. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut. Ich verspreche es.« Ich richte mich auf und sehe meinen Vater an. »Mama hat recht, das hat so keinen Sinn. Ich gehe jetzt. … Und, Paps, falls ich mir mein Leben verbaue, dann verbaue ich es mir wenigstens selbst. … Ich habe euch lieb. Bis bald.«
Ich schmeiße den Deckel auf die Kiste, schiebe sie in die hinterste Ecke, drehe mich um und gehe.
D ie nächsten Tage verbringen Anna und ich mit Vorbereitungen für unsere Reise. Ich telefoniere noch ein paarmal mit meiner Mutter. Mein Vater will nicht. Steckt noch immer mit seinen Hörnern in der Wand fest.
Dann stehen Anna und ich endlich mit unserem ganzen Zeug und einer Menge Hummeln im Bauch auf dem Hauptbahnhof Berlin. Ich kann vor lauter Reisefieber nicht still stehen, nerve Anna schon seit Stunden mit meinem Gezappel.
»Ich schwitze am Rücken wie verrückt«, jammere ich.
»Das liegt daran, dass Sommer ist und du einen voll bepackten Rucksack auf dem Rücken trägst. Sonst noch Klagen, Prinzessin?«
»Ja, ich hab Hunger … und ich muss mal … Dauert es noch lange? …«, albere ich zurück.
Anna sieht auf ihren schlauen Zettel. Sie hat die Planung der Route übernommen und die Tickets besorgt.
»Wenn der Zug pünktlich ist, und es sieht ganz so aus, steigen wir um in … Moment … in …«
»Charlotte! Charlotte! … Charlotte!«, höre ich plötzlich die Stimme meiner Mutter aus dem Bahnhofsgetümmel.
Ich drehe mich zu allen Seiten, bis ich sie entdecke. Sie wühlt sich geschickt durch die Gruppen und Koffer der anderen Reisenden.
»Da kommt unser Zug!«, bemerkt Anna aufgeregt.
Als meine Mutter uns endlich erreicht hat, drückt sie uns beide kurz an sich. Zeitgleich quietschen die Bremsen des Zuges neben uns.
»Ich wollte euch schnell noch eine schöne Reise wünschen. Passt bitte gut auf euch auf und meldet euch! Ganz oft, ja?«
Ich umarme meine Mutter, gebe ihr einen dicken Kuss auf jede Wange.
»Na klar, Mama, machen wir!«
Anna zieht mich an meinem Arm zur Tür des Zuges. »Charlotte, wir müssen! Machen Sie’s gut, Frau Wolf!«
Während wir schon in den Zug einsteigen, nimmt meine Mutter meine Hand und steckt mir einen Brief zu.
»Ein Brief! Und ein kleiner Bonus! Für magere Zeiten! Ich bin stolz auf dich, Schatz!«
Das Pfeifen ertönt, die Türen schließen sich, der Zug setzt sich langsam in Bewegung.
Ich bleibe am Fenster stehen, winke meiner Mutter und puste ihr Handküsse zu, bis ich sie nicht mehr sehen kann.
Anna hat uns bereits zwei Plätze gesucht, ich verstaue meinen Rucksack und lasse mich auf den Sitz neben ihr fallen.
»Was ist das?«, fragt Anna und deutet auf den Umschlag, den ich in der Hand halte und in der Aufregung schon halb zerknüllt habe. Ich öffne ihn vorsichtig und finde zwei weitere Umschläge.
In einem ist der ›Bonus‹ von dem meine Mutter gesprochen hatte. Ich verstaue das Geld direkt in unserer gemeinsamen Reisebörse und öffne dann den anderen Umschlag. Ich ziehe einen kleinen Brief heraus.
Bitte sag dem ›Lumpenmädchen‹, dass es gut auf Dich aufpassen soll.
Alles Glück der Welt für Dich, meine Kleine.
Dein Paps.
I ch falte den Brief wieder zusammen. Geht doch, du alter Sturkopf, denke ich lächelnd.
»Okay, Anna, es wird Zeit mich einzuweihen. Wohin fahren wir als Erstes? Und wohin danach? Und danach, und danach, und danach …?«
Anna grinst mich an.
»Barcelona. Und danach … Barcelona. Und wenn du dann immer noch willst, Barcelona. Und vielleicht fahre ich auch noch alleine herum und komme dann zurück nach … Bar-ce-lo-na.«
Der Knoten um meinem Herzen platzt, das Glück sprudelt heraus, fließt durch meinen ganzen Körper.
»Du bist die Beste!«, seufze ich und lege meinen Arm um Anna. Schweigend schauen wir aus dem Fenster und lassen Berlin an uns vorbeiziehen.
Krämer, Mina:
Sommerflimmern
ISBN 978 3 522 62077 2
Einbandgestaltung und -typografie: Cornelia Niere
E-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
© 2012 by Thienemann Verlag
(Thienemann Verlag GmbH), Stuttgart/Wien
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