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Sommerflimmern (German Edition)

Sommerflimmern (German Edition)

Titel: Sommerflimmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Krämer , Sophie Berger
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als der Weg endlich flacher wird und durch ein Waldstück führt. Hier ist es angenehm kühl. Eine Schicht aus altem Laub bedeckt den Boden wie ein dicker Plüschteppich. Vereinzelt fallen Sonnenstrahlen durch die Baumkronen und lassen die toten Blätter rostrot aufleuchten.
    Die Farbe erinnert mich an Leos Sommersprossen. Ob sein ganzer Körper mit Sprossen übersät ist, wie das Marsupilami mit Tupfen, oder ob sich der Badehosenbereich, den ich noch nie stofflos gesehen habe, jungfräuliches Weiß bewahrt hat? Ich pflücke eine Blume und zupfe die Blütenblätter ab: »Jungfrau, Marsupilami, Jungfrau, Marsupilami, Jungfrau …« Ein Häher fliegt knapp über meinen Kopf hinweg und keckert. Erschrocken lasse ich die Blume fallen.
    Heute Nacht werde ich die Sommersprossenfrage klären.
    Der Wald lichtet sich. Der Boden wird weicher, bei jedem Schritt schmatzt er unanständig. In meinen Schuhabdrücken bilden sich kleine Pfützen. Dann sehe ich zwischen den Stämmen einer Kieferngruppe Wasser schimmern: der Flötzer Moorsee. Fast schwarz liegt er da, in die prächtige Bergkulisse eingebettet. Nur ein Teil des Sees wird von der Sonne beschienen, die ihn grüngolden aufleuchten lässt wie einen Smaragd. Idylle pur.
    Halt! Nicht ganz. Ich kneife die Augen zusammen. Der Hang, der vom gegenüberliegenden Ufer ansteigt, ist zur Hälfte kahl. Als hätte ein monströser Drache eine Schneise durch den Wald gefressen.
    Ein Platschen reißt mich aus meinen Betrachtungen. Irgendetwas schwimmt im Wasser. Etwas Großes. Ich schleiche näher, drücke mich an den Stamm einer Buche und spähe dahinter hervor.
    Das Etwas ist männlich, krault eine Runde durch den See, taucht, kommt prustend wieder an die Oberfläche und schwimmt schließlich ans Ufer.
    Jetzt geht er an Land.
    Ich halte die Luft an.
    Er ist groß, muskulös und ungefähr so alt wie Leo.
    Er ist tropfnass (was zu erwarten war).
    Und wenn man von der Schlingpflanze absieht,die sich um sein linkes Bein gewunden hat, ist er splitterfasernackt.
    Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt.
    (Zoe hätte mich ausgelacht! »Na und?«, hätte sie gesagt, hätte sich ebenfalls die Kleider vom Leib gerissen und wäre ins Wasser gesprungen.) Ich bin nicht wie Zoe. Ich ziehe den Kopf ein und schließe die Augen, ganz nach der Devise: »Was du nicht siehst, das kann dir keine Probleme bereiten.« Leider hilft es mir nichts, da ich den Nacktschwimmer jetzt vor meinem inneren Auge sehe. Dann kann ich genauso gut hinschauen.
    Mit einem Schlenkern entfernt er die Schlingpflanze, beugt den Kopf nach unten und drückt Wasser aus seinen langen Haaren. Er bindet sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. Lässig schlendert er auf eine Bank zu und legt sich in die Sonne, keine drei Meter von mir entfernt.
    SPRONG! Mein Kopf dröhnt, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Nur dass ich anstelle von Sternen Bilder sehe. Rasende Bilder. Die Graphic Novel, die ich vor Monaten begonnen und kurze Zeit später uninspiriert wieder weggelegt habe, erwacht zu neuem Leben. Ich sehe Kira, meine Protagonistin, wie sie in die Berge flüchtet; wie sie in einen Hinterhalt der Schwarzen Rukh gerät und von einem Felsvorsprung gestoßen wird. Sie fällt. Aber der Daimon Josua hat sich schon in die Lüfte geschwungen. Erlegt seine Flügel an. Im Sturzflug holt er Kira ein, packt sie und landet sanft mit ihr im Wasser. SPLASH.
    Josua. Ich habe Josua gefunden.
    Rasch schlage ich den Zeichenblock auf und fische einen Bleistiftstummel aus meiner Hosentasche. Mit wenigen Strichen skizziere ich mein ahnungsloses Opfer, wie es mit angewinkelten Beinen auf der Bank liegt, die Hände unter dem Kopf verschränkt.
    Der Held ruht nach vollbrachter Tat.
    Auf einem zweiten Blatt zeichne ich ihn kraulend und auf einem dritten, wie er aus dem Wasser steigt. Von vorn. In voller Pracht. Während ich Josuas Schamhaar schraffiere, frage ich mich, was Leo dazu sagen würde. Ob er wütend wäre oder bloß abschätzig eine Braue hochzöge? Zum Glück interessiert er sich nicht für meine Zeichnungen. Meine künstlerischen Anwandlungen fallen für ihn in dieselbe Kategorie wie die Seidenmal– und Bauchtanzkurse seiner Mutter, die er immer mit einem Kopfschütteln und Sprüchen à la »Hausfrauen malen« kommentiert.
    Wahrscheinlich hat er recht.
    Trotzdem kann ich es nicht lassen.
    Wie im Rausch zeichne ich weiter, das Seeufer, die Berggipfel in der Ferne, die Rinde eines Baumes. Es hat mir lange nicht mehr so viel Spaß gemacht.

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