Sommergayflüster
hätte Raffael ihn nun laut angeschrien, doch er war wie gelähmt. Sandro wusste es! Das wars.
„Warum hast du das getan?“, brüllte er Jarche nun doch an. „Du weißt genau, dass ich das schon lange nicht mehr mache.“
„Sollte ich? Ich weiß gar nichts“, lachte er.
Raffael wollte noch etwas erwidern, hielt jedoch erneut inne, bevor er sich umdrehte und verzweifelt die Höhle verließ.
***
Zwei Tage später war nichts mehr so, wie es einmal war. Sandro spazierte über die Promenade, die sich unweit des Strandes befand. Die Worte des fremden Mannes hatten ihm keine Ruhe gelassen. Er war deshalb früh aufgestanden und mit einem seiner Boote zum Hafen der benachbarten Insel gefahren, um sich selbst ein Bild zu machen. Denn seit Raffaels Verschwinden hatte er nichts mehr von ihm gehört. Es ärgerte ihn, und er konnte nicht glauben, dass dieser seine Gefühle ihm gegenüber nur vorgetäuscht hatte. Dessen Augen konnten einfach nicht lügen. Doch irgendetwas stimmte nicht, und er wollte herausfinden, was. Raffael war bereits vor einem Jahr sehr verschlossen gewesen, und er hatte sich immer gefragt, warum das so war. Dennoch – was wusste er über ihn?
Außer ihrer Liebe zueinander hatte er aus seinem Leben und seiner Vergangenheit nur wenig erfahren. Raffael hatte ihm erzählt, dass er ebenfalls seine Eltern verloren habe und seither bei einem Bekannten lebe. Doch dorthin mitgenommen hatte er ihn nicht, was ihm schon damals sonderbar vorgekommen war. Aber er hatte es akzeptiert, weil er sich in ihn verliebt hatte.
In Gedanken versunken, blieb er abrupt stehen. Einige Meter vor sich erblickte er einen attraktiven jungen Mann, der wahllos vorbeikommende Menschen – vorwiegend Touristen – ansprach. Sandro konnte es nicht glauben. Es war Raffael. Augenblicklich zog sich sein Magen krampfhaft zusammen. Er suchte hastig nach einem passenden Versteck und setzte sich in der Nähe der Promenade auf eine Bank, die unter einem Baum stand. Von hier aus beobachtete er Raffael.
Sandro sah, wie ein Mann ihm etwas in die Hand gab, dann jedoch wieder weiterging, ohne sich um ihn zu kümmern. Als Raffael plötzlich davonlief, stand Sandro auf und eilte ihm nach. Dieser rannte an den Strand und verschwand dort in einem Felsen. Ohne zu überlegen, folgte er ihm und kam zu einem Höhleneingang. Zwei alte Matratzen und ein noch älterer Kochtopf über einer verkohlten Kochstelle war alles, was er dort vorfand. Was machte Raffael hier?
Er wollte gerade einen weiteren Schritt in den Höhlenunterschlupf machen, als er ein Geräusch vernahm.
„Du, hier?“
Überrascht drehte sich Sandro um und blickte in die blauen Augen Raffaels. Sie sahen ihn völlig aufgelöst an.
„Ja, stell dir vor, ich bin dir gefolgt. Stimmt es also doch ...“
„Was?“ Raffaels Mundwinkel begannen zu zittern.
„Dass du ... dass du anschaffen gehst. Ich habe dich vorhin beobachtet.“ Als er die letzten Worte ausgesprochen hatte, bereute er es jedoch sofort. Eigentlich hatte er gar nichts gesehen. Er war so ein Dummkopf!
„Was weißt du schon!“, fuhr Raffael ihn grob an und lief abermals weg. Doch Sandro hatte die wässrigen Augen gesehen und kam sich plötzlich schuldig vor. Was sollte er machen?
Er überlegte nicht lange und rannte Raffael hinterher, bis er ihn einholte und am T-Shirt zurückhielt. Abrupt blieben beide stehen.
„Sag mir, was hier los ist, verdammt! Ich bin in dich verliebt, weiß aber nicht, was ich noch denken soll. Sag mir also die Wahrheit!“
„Jarche war doch schon bei dir und hat dir alles mitgeteilt. Alles andere willst du doch gar nicht mehr hören!“, entgegnete Raffael aufgebracht.
„Das stimmt nicht.“ Sandro zog ihn am Shirt dichter zu sich heran. Dann küsste er ihn auf den Mund und schlang seine Arme um ihn, als wollte er ihn nie wieder loslassen. „Stimmt es, was er gesagt hat? Liebst du mich gar nicht?“
Stille kehrte ein. Sandro spürte, wie sich Raffaels Hände mit einem Mal an ihm festklammerten und er zu weinen begann.
„Ich ...“, schluchzte er, fasste sich jedoch schnell wieder. „Klar hab ich mich in dich verknallt, warum sonst hätte ich dir nach einem Jahr auf die Insel folgen sollen? Aber ... ich habe mal als Stricher gearbeitet, ich bin da so reingerutscht – durch Jarche. Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat ... nur … ich mache das schon lange nicht mehr ... Jarche hat mich damals dazu gezwungen, mit ihm zu schlafen, weil ich sonst keine Schlafstelle gefunden
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