Sommerglück
Stromversorger.«
»Aha«, sagte Annie. Einer ihrer Großväter hatte Eis verkauft, der andere Steinmauern gebaut.
»Großvater Day – Obadiah Day – richtete ein Treuhandvermögen ein, was bedeutet, dass er tonnenweise Geld auf ein besonderes Konto einzahlte, an das niemand herankommt.«
»Wozu soll es dann gut sein?«
»Oh, man bekommt Zinsen dafür. Die Zinsen kann man nach Lust und Laune ausgeben.«
»Du und dein Dad?«
»Ähm, eigentlich nur ich. Ich sage ›wir‹, aber ich meine, ich. Ich zahle praktisch alles.«
»Du meinst, du zahlst alles selbst, was du dir kaufst?«
»Nein. Ich zahle
alles
. Unsere Lebenshaltungskosten, die Geschäftskosten meines Vaters … Boote aus Holz zu bauen ist teuer. Mom zog ihn immer damit auf und sagte, sein Hobby würde uns noch in den Ruin treiben.«
»Aber … für die Boote, die er baut, verlangt er gesalzene Preise. Das weiß ich von meiner Mutter.«
»Klar, weil das Material so viel kostet. Er verwendet extrem teures Holz. Manches ist selten, aus Sansibar oder Costa Rica. Kannst du dir vorstellen, was es kostet, eine Ladung Plantagen-Teakholz von Lamu hierher zu schaffen? Ein Vermögen! Und seine Arbeitskraft muss ja auch bezahlt werden. Er fertigt jedes Boot in Handarbeit, ganz alleine, daher baut er nicht viele.«
»Aber er ist der Beste auf seinem Gebiet. Hat mir meine Mom erzählt.«
»Sicher. Ich sage ja nur, dass er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Und sie hat es finanziert.«
»Hat ihn das gestört?«, fragte Annie verwirrt. Bei ihr zu Hause war ihr Vater stolz darauf gewesen, dass ihre Mom nicht arbeiten gehen musste. Es hatte ihm gefallen, die »Brötchen zu verdienen«.
Eliza zuckte die Achseln. »Ich glaube, das war ihm egal. Oder ist ihm egal. Er ist anders als alle anderen; er liebt seine Arbeit, er liebt das Meer, er liebt mich. Er liebte meine Mutter. Gewisse Dinge sind für meinen Dad wichtig. Solange er sie hat, ist alles in Butter.«
»Du sagtest, mein Dad sei dein Treuhänder gewesen.« Annie schluckte.
»Ja. Er hat den Trust verwaltet. Zusammen mit meiner Mom.«
»Daher kannten sie sich?«
Eliza nickte, hob kleine Muschelschalen auf und ließ sie in ihrer Hand klimpern. Sie gingen weiter, zum zweiten Strand, zwischen dem riesigen Felsen hindurch, der ganz mit giftigem Efeu überwuchert war – gerade so, als würde ein Zauberer den Wanderern den Weg versperren wollen, doch Annie zeigte Eliza, wie man dem Hindernis auswich, schrittweise, mit dem Rücken zum Felsen, um die glänzenden grünen Blätter nicht zu berühren.
Abermals glaubte Annie, jemandem im Wald gehört zu haben, der ihnen unsichtbar zum Strand folgte. Wenn sie stehen blieben, hörte das Rascheln der Blätter auf. Vielleicht ein Reh? Sie schauderte, ging Eliza zum zweiten Strand voran.
Der Strand bestand nur aus Felsen: große Granitblöcke im Wasser, kleinere eigroße Steine oberhalb der Gezeitenlinie. Die Mädchen kamen nur langsam voran – Annie war barfuß, und Eliza hatte Angst, umzuknicken und sich den Knöchel zu verstauchen. Annie blickte zu dem kleinen Felsenarchipel hinüber, der in den Sund hineinragte; dort sah sie oft Quinn Mayhew, die weiße Blüten in den Wellen verstreute, Gaben für die heimischen Meerjungfrauen.
»Er half ihr bei Investitionsentscheidungen«, fuhr Eliza fort. »Sie hielt ihn für einen guten Finanzberater.«
»Kanntest du ihn persönlich?«
»Ja. Sie nahm mich hin und wieder mit, wenn sie zur Bank fuhr.«
»Was sagte er? Was für einen Eindruck hattest du von ihm?« Annies Stimme brach, sie war so ausgehungert nach neuen Einzelheiten über ihren Vater, den sie nie wiedersehen würde, dass sie den unsichtbaren Beobachter im Wald vergaß, ebenso wie die Monster, die Ungeheuer, die hinter Elizas Geschichte lauerten.
»Er war sehr nett«, erwiderte Eliza sanft. »Er behandelte mich, als sei ich die wichtigste Person auf der Welt. Er nannte mich ›Miss Connolly‹.«
»Typisch Dad.« Annie schnaufte. »Er kam mit allen Menschen gut aus.«
»Ich vertraute ihm, damals, und das will etwas heißen. Als ich deinem Dad begegnete, dachte ich: ›Kein Wunder, dass er Treuhänder ist. Ihm würde ich mein Geld auch zu treuen Händen überlassen …‹«
»Warum hast du mir das nicht früher erzählt?« Annie begann zu weinen. »Du hättest wissen müssen, wie froh ich darüber gewesen wäre. Warum hast du mir die Geschichte verheimlicht?«
»Oh Annie.« Elizas Gesicht war bekümmert, und ihr Kinn zitterte wie Espenlaub. »Ich
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