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Sommerglück

Sommerglück

Titel: Sommerglück
Autoren: Luanne Rice
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Messing – in denen kein Licht brannte – zu beiden Seiten der breiten Eingangstür.
    Bei dem Blick, der sich ihr bot, fühlte sich Bay in eine längst vergangene Epoche versetzt: der dunkle Fluss, am anderen Ufer die gespenstischen Masten alter Walfängerboote. Die Gebäude des Hafens still am Abend, nur der Wind rüttelte an der Takelage der Schiffe, erzeugte Sphärenklänge, beinahe tonlos, aber unheimlich.
    »Die Laternen sind aus.« Dan parkte in der Auffahrt, sprang aus dem Wagen. »Sie macht sie immer für mich an.«
    Bay holte tief Luft und folgte ihm über den mit rotem Backstein gepflasterten Weg die breiten Granitstufen hinauf zur Eingangstür. Sobald er die Hand auf den Knauf legte, wusste sie, dass etwas nicht stimmte – die Tür war offen.
    »Sie sperrt sonst immer zu.« Er eilte ins Haus.
    Bay ging hinter ihm her. Das Innere zeugte von einer Pracht, die längst der Vergangenheit angehörte: auf Hochglanz polierte Möbel, von einer Generation zur nächsten weitervererbt, eine Ebenholztruhe, ein Newport-Schreibtisch, Hitchcock-Sessel, Gemälde von Schiffen und dem Hafen, Messinglampen, ein Täbriz-Teppich.
    Durch das Esszimmer, wo Bay im Schein einer Messingstehlampe eine weit geöffnete Schranktür bemerkte, ging es in die Küche. Hier brannte Licht – eine helle Deckenlampe, die Elizas Abendessen beleuchtete.
    »Eliza!« Dan rannte durchs Haus. »Eliza!«
    »Oh mein Gott«, flüsterte Bay und starrte auf den riesigen Teller mit Elizas Abendessen: neun verschrumpelte Erbsen. Das arme Mädchen, dachte Bay und schloss damit auch Annie ein.
    »Sie ist nicht da.« Dan stürzte in die Küche. »Was hat sie sich angetan?«
    »Dan.«
    »Sie ist selbstmordgefährdet.« Er raufte sich die Haare, lief ruhelos hin und her. »Sie hat sich immer wieder verstümmelt, hat gedroht, ins Wasser zu gehen …«
    »Dan, ich glaube nicht, dass sie sich etwas angetan hat.« Bay nahm ihn am Arm und führte ihn zum Tisch, deutete auf Elizas Teller. »Sie hat versucht, etwas zu essen.«
    Er starrte die Erbsen an, und Bay wusste, dass nur jemand, dessen Kind unter Essstörungen litt, verstand und begriff, dass diese armselige Mahlzeit eine gute Neuigkeit war.
    »Tatsächlich.« Erleichtert schloss er einen Moment die Augen. »Du hast recht. Aber wo könnte sie sein?«
    Sie durchsuchten den ganzen ersten Stock, Räume, die Bay schön fand, makellos, aber irgendwie kalt. Wo waren die Fotos von Eliza? Wo waren ihre Zeichnungen und der selbst gebastelte Wandschmuck aus der Schule? Die Gipsabdrücke ihrer Hände? Die Muscheln und Steine, die sie gesammelt und abgemalt hatte?
    Über dem Kaminsims hing das Porträt einer jungen Frau. Bay blieb stehen, blickte in ihre bernsteinfarbenen Augen. Es war ein schmeichelhaftes Bild von Charlotte Day als Debütantin: weißes Satinkleid, lange weiße Handschuhe, weicher brauner Pagenkopf, perfekt geschwungene Lippen, aber mit einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.
    Die Frau, die Bays Mann geküsst hatte.
    Während sie das Bild betrachtete, verspürte Bay tief in ihrem Inneren eine unerträgliche Abneigung gegen Charlie Connolly – wegen ihres perfekten, unpersönlichen Hauses, weil sie ihren Mann belogen und Sean vor den Augen ihrer Tochter geküsst hatte, selbst wenn sie gedacht hatte, dass sie schliefe.
    »Das ist Charlie.« Dan trat neben sie, um das Gemälde gleichfalls zu betrachten.
    »Das dachte ich mir schon.«
    »Es stammt von Wadsworth Howe – einem Zeitgenossen von Renwick. Ihre Eltern gaben es anlässlich ihres achtzehnten Geburtstages in Auftrag, kurz nachdem sie in die Gesellschaft eingeführt worden war. Ich habe oft überlegt, ob ich auch ein Porträt von Eliza anfertigen lassen soll …«
    Bay schüttelte den Kopf, ohne die Augen von Charlies kaltem Blick zu lösen. »Kein Porträt wäre in der Lage, ihre Persönlichkeit wiederzugeben, ihr bezauberndes Wesen. Es könnte ihr niemals gerecht werden. NIEMALS .«
    Dan, der ihren Tonfall wahrnahm, zuckte zusammen. Erschrocken blickte er Bay an, die nahe daran war, ihm zu sagen, dass sie seine Frau nicht mochte. In ihren Augen war Charlie das perfekte Modell für eine Debütantin, deren Unnahbarkeit für immer in der Grabeskälte eines Porträts eingefangen war, doch jetzt galt es, Eliza zu finden, und deshalb hielt sie ihre Zunge im Zaum.
    »Komm, lass uns fahren«, sagte sie. »Es ist schon dunkel draußen, und sie hat keinen Bissen gegessen. Wir müssen sie suchen.«
    »Aber wo sollen wir anfangen? Wo könnte
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