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Sommerglück

Sommerglück

Titel: Sommerglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Vater gewesen, wenn die Geschwister zu Hause bei ihrer Mom waren und er nicht schon wieder arbeiten musste, zum Fischen ging oder mit Freunden unterwegs war – bevor sie etliche Kilo zugenommen und ihn enttäuscht hatte. Annie hatte die Kraft seiner Liebe gespürt, wenn er sie zu Fuß zur Schule begleitete; wenn er sich umdrehte und sie auf der Granittreppe zurückließ, war ihr, als ginge die Sonne unter, als hätte sie seine wunderbare Wärme eingebüßt.
    Jetzt unterhielt sich ihre Mutter leise mit Tara. Polizisten eilten über den Pier; ihre Funkgeräte knarzten auf dem Parkplatz. Die Leute schenkten Kindern nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie Erwachsenen, und deshalb sprachen die beiden Männer in den dunklen Anzügen mit den uniformierten Polizisten, als wäre Annie Luft.
    »Ermittlungen«, hörte sie die Männer sagen. »Interne … in der Bank … die Feds …«
    »Mommy, was sind ›Feds‹?«, fragte Annie und lief zu ihrer Mutter.
    »Das sind Leute von der Bundesregierung.« Ihre Mutter legte die Arme um sie, wiegte sie beruhigend hin und her, so dass sich Annie beinahe einreden konnte, alles würde gut werden, wenn sogar die Bundesregierung eine Abordnung schickte, um ihren Vater zu suchen. Annie klammerte sich an ihre Mutter, roch den wunderbaren, ihr eigenen Duft nach Sonnencreme, Limonen-Cologne und Salzwasser.
    Doch dann flüsterte Tara ihrer Mom zu: »Das heißt, das FBI ist mit von der Partie«, und ihre Mutter schnappte nach Luft, und Annie löste sich aus ihren Armen.
    Vorher waren alle freundlich gewesen, doch nun wirkten sie schroff und kalt, und Annie begriff, dass ihr Vater – ein Irrtum, ein Albtraum – offenbar unter Verdacht stand, warum auch immer. Ein weiterer Wagen fuhr vor, und zwei Männer stiegen aus, die große Taschen trugen. »Das forensische Team«, erklärte Tara, und Annies Mutter erwiderte: »Das kann doch alles nicht wahr sein.«
    Für Annie war es das auch nicht. Ihr Körper bestand aus Luft. Der Wind wehte durch sie hindurch, kühlte ihre Knochen. Ihre nackten Füße auf den breiten Holzplanken des Piers spürten die Sommerhitze kaum. Ihre Haut fühlte sich versengt an, als wäre sie abgezogen worden, so dass sich ihre inneren Organe in den Himmel verflüchtigten. Ihre Mutter wollte sie in die Arme schließen, aber Annie konnte die Berührung nicht ertragen.
    »Annie?« Ihre Mutter streckte die Arme aus.
    Annie wusste, dass ihre Mutter versuchte, sie zu trösten, und dass sie vermutlich selber Nähe brauchte, aber den Gefallen konnte Annie ihr jetzt nicht tun. Sie war ein Luftgeist. Sie hatte ihren Körper verlassen – wie eine Meeresschnecke, die aus ihrem Gehäuse kriecht.
    Sie hatte sich in eine Zeitreisende verwandelt, und nun flog sie in die Zukunft. Sie schloss die Augen, entzog sich jeder Wahrnehmung.
    Sie dachte daran, wie ihr Vater ihr immer die Hand gehalten hatte, ihr ganzes Leben lang. »Welches ist dein Lieblingslied, Annie?«, hatte er sie manchmal gefragt. »Das wird an dem Tag deiner Trauung gespielt, wenn ich dich deinem Bräutigam zuführe. Es muss nicht Mendelssohn sein … du hast die Wahl.«
    Aber Annie hatte den Gedanken an ihren Hochzeitstag weit von sich geschoben – sie kam bei Jungen ohnehin nicht an – und stattdessen von dem Bankett anlässlich der Siegerehrung im Sport geträumt. Sie hatte schon vorher an solchen Festen teilgenommen, als ihr Bruder und die Schwester ihrer besten Freundin eine Auszeichnung erhielten; nun war ihre Kehle wie zugeschnürt, als sie sich ausmalte, wie sie an dem langen Tisch saß, zwischen ihren Eltern. Sie speisten fürstlich – Hochrippensteaks, das Lieblingsgericht ihres Vaters.
    Annie war in diesem Traum gertenschlank. Sie hatte weniger gegessen und mehr Sport getrieben. Man hatte sie für die Aufnahme in mehreren Mannschaften in Betracht gezogen, hatte sie geprüft und für gut befunden, und sie hatte ihre Schule von Sieg zu Sieg geführt, bis zur Landesmeisterschaft. Sie war gertenschlank und bildhübsch …
    Sie stellte sich vor, wie die Rektorin ihren Namen aufrief. Wie sie ihren Stuhl zurückschob und, kerzengerade, damit ihr Vater nichts an ihrer Haltung auszusetzen hatte, zwischen den Tischen hindurch zur Bühne ging. Die Zuschauer jubelten ihr zu. Die Eltern ihrer Mitschüler bedachten ihren Vater mit einem Lächeln und streckten die Daumen hoch, wegen ihrer herausragenden Leistungen im – Annie überlegte, suchte krampfhaft nach der perfekten Sportart – Feldhockey!
    Oder Fußball.

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