Sommerglück
froh, dass Bay dieses herrliche Anwesen, ein Wahrzeichen von Hubbard’s Point, besaß. Er hätte Sean eigenhändig umgebracht, wenn ihm zu Ohren gekommen wäre, dass er das Haus, in dem Bay und die Kinder wohnten, durch seinen Leichtsinn aufs Spiel gesetzt hatte.
Der Mond war an den Rändern von der Feuchtigkeit des Sommers verhangen und weil es bis zum richtigen Vollmond noch ein paar Tage dauerte.
»Aufdringlich« … ein gewichtiges Wort. Schade, dass er nie eingehend darüber nachgedacht hatte, den offenkundigen Dingen im Leben zu viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Dabei hatte es ihn eigentlich immer zu den unterschwelligen Dingen, den Geheimnissen hingezogen.
Während er Bays Haus betrachtete, flammte im ersten Stock ein Licht auf. Sein Herz begann zu klopfen. Er wünschte, sie würde aus dem Fenster schauen und zur Promenade hinuntergehen, um das Spiegelbild des Mondes im Wasser zu betrachten. Zur Strandpromenade, die sie gemeinsam errichtet hatten.
Dan hätte gerne mit ihr gesprochen, ihr die ganze Geschichte erzählt. Doch noch mehr wünschte er sich die Gesellschaft einer Frau, mit der er zusammen etwas aufgebaut hatte. Er sehnte sich danach, mit Bay zu reden, wieder ihre sanfte Gegenwart in seinem Leben zu spüren. Damit sie ihn daran erinnerte, den Blick zum Himmel zu richten.
Sein Wunsch war genauso offenkundig wie der beinahe volle Mond über dem großen Felsen.
Am letzten Dienstag vor dem Labour Day – dem ersten Montag im September –, als Tara zur Arbeit ging, begleitete Bay sie zu Mrs.Renwick. Sie trug ihre Gartenkleidung: weite Hosen, ein langärmeliges Hemd aus gemustertem Baumwollstoff, weiße Socken, grüne Plastikclogs. Außerdem hatte sie ihren abgewetzten alten Strohhut, weiche, zehn Zentimeter lange Rehlederhandschuhe, um sich vor den Dornen zu schützen, und eine Thermosflasche mit Eiswasser aus ihrer Pfadfinder-Zeit eingepackt.
»Du bist die Einzige, die sich nicht unterkriegen lässt und heute noch an dem Brauch festhält, Leitungswasser in dieses Ding zu füllen.«
»Ich werde keinen einzigen Dollar für Mineralwasser ausgeben.« Bay musterte das Renwick-Anwesen, als wäre es ein verwunschenes Schloss. »Nur aus diesem Grund bin ich hier – weil wir das Geld brauchen.«
»Was hätten wir damals wohl gesagt, wenn uns jemand prophezeit hätte, dass wir eines Tages Geld für Wasser ausgeben würden? Wir sind inzwischen ganz schön verwöhnt.«
»Du sagst es.« Bay gähnte, weil sie in den letzten Nächten schlecht geschlafen hatte. Der Mond, der durch ihr Fenster schien, hatte versucht, sie an den Strand zu locken.
Die beiden Freundinnen standen vor Augustas Haus, direkt neben der Küchentür. Die meisten Fenster standen weit offen, so dass Durchzug entstand, und weiße Vorhänge flatterten im Wind, der vom Meer herüberwehte. Bay blickte nach oben, meinte einen Schatten am Fenster vorbeihuschen zu sehen.
»Ist Augusta im Haus?«, fragte sie.
»Wahrscheinlich. Sie ist ziemlich unzugänglich. Sie bat mich, dich einzuweisen.«
»Richte ihr bitte aus, dass sie im nächsten Sommer die schönsten Blumen an der ganzen Küste haben wird. Schau dir diese Büsche an. Schwarze Rosen, Hortensien, Lilien, Anemonen …«
»Dann viel Glück!«, sagte Tara. »Ich muss mich heute mit dem Putzen beeilen. In der Black Hall Art Academy findet am Abend eine Vernissage statt, und ich möchte Punkt sechs dort sein, um einen Blick auf die Maler zu ergattern. Wozu auch immer.«
»Geh ruhig, wenn du fertig bist – ich finde alleine nach Hause.« Bay lächelte und winkte, als Tara davoneilte.
Sie betrat den Schuppen mit den Gartengeräten, wo sie Scheren zum Stutzen und Schneiden, Schaufeln, Rechen und Spaten entdeckte. Überall hingen Spinnweben, doch die Wände waren mit den fantasievollen Zeichnungen Hugh Renwicks bedeckt. Gebannt betrachtete Bay die Skizzen von seiner Frau mit Sonnenhut, von seinen Töchtern, die Sandburgen bauten und mit Meerjungfrauen tanzten, von einem mit Seesternen gefüllten Himmel und einem fliegenden Hund mit einem Knochen in seinem lächelnden Maul und einem roten Band um den Hals, auf dem »Homer« geschrieben stand.
Dann füllte sie ihre Arme mit Gartengeräten und ging hinaus.
Vier Stunden lang wanderte sie ohne Unterlass über das Gelände, machte sich mit dem Terrain vertraut und nahm sich als Erstes die am schlimmsten verwilderten Hecken und Beete vor. Ihre Großmutter hatte ihr beigebracht, keine Angst vor dem Stutzen zu haben.
»Bis runter zum
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