Sommerhaus mit Swimmingpool
um die Ermüdungserscheinungen zu unterdrücken, sodass die Krankheit sich ungehindert in seinem Körper ausbreiten konnte. Doch es dauerte länger als normal. Mich beschlichen leise Zweifel. Hatte ich mich geirrt?
Als ich am nächsten Tag bei ihm zu Hause anrief, war Judith am Apparat.
»Ist es wegen dem Ergebnis?«, fragte sie sofort.
Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich sagen sollte. »Ich dachte …«
»Ja, du solltest es mir verschweigen, wenn es etwas Schlimmes ist, aber du hast Ralph so beruhigt, dass er es mir gleich gesagt hat. Dass es nichts Ernstes ist. Das stimmt doch, oder?«
»Ich habe ihm gesagt, es sei wahrscheinlich nichts Ernstes. Aber um ganz sicher zu sein, hatte ich eine Probe zur Untersuchung geschickt.«
»Und?«
Ich kniff die Augen zusammen. »Ich habe heute angerufen. Du brauchst dir absolut keine Sorgen zu machen.«
»Wirklich? Ich meine, wenn es etwas ist, will ich es wissen, Marc.«
»Nein, es ist alles in bester Ordnung. Gibt es denn etwas, was dir Grund zur Sorge gibt?«
»Er ist immer noch oft müde. Und er hat abgenommen, obwohl er genauso viel isst wie früher. Und trinkt.«
»Was ist mit der Schwellung?«
»Sie ist noch da, aber nicht größer geworden. Ich schau natürlich nicht jeden Tag nach, aber manchmal taste ich danach, ganz unauffällig, du verstehst.«
Das mit dem Abnehmen war eine gute Nachricht. Auch dass die Schwellung nicht größer geworden war, stimmte mit dem Krankheitsbild überein. Die feindlichen Truppen hatten einen Brückenkopf errichtet, von dem aus die Angriffe koordiniert wurden. Anfangs waren es noch beschränkte Kommandoaktionen. Geheimoperationen hinter den Linien. Nadelstiche. Das Gelände wurde sondiert. Geebnet . Die Hauptmacht würde auf keinen großen Widerstand mehr stoßen.
»Es ist wahrscheinlich bloß ein Fettgeschwulst«, sagte ich, »nicht weiter schädlich, aber wenn es ihn stört, kann ich es wegschneiden.«
»Muss das nicht im Krankenhaus gemacht werden?«
»Da muss er bloß endlos warten. Es ist ein ganz harmloser Eingriff. Er kann einfach vorbeikommen, braucht nicht mal einen Termin zu machen.«
Lisa erkundigte sich manchmal nach Thomas. Julia erkundigte sich nie nach Alex.
»Natürlich kannst du ihn anrufen«, sagten wir zu Lisa. »Frag ihn, ob er Lust hat, hier zu spielen.« Doch im Lauf des Schuljahrs fiel sein Name immer weniger. Ihre Freundinnen und Freunde drängten den Feriengefährten in den Hintergrund.
Was Julia betraf, hatten wir den Eindruck, dass ihr Jungs gerade gestohlen bleiben konnten und ganz sicher der Junge, der sie an die vergangenen Ferien erinnern würde. Wobei das Wort ›erinnern‹ nicht ganz zutreffend ist. Julia erinnerte sich nur sehr fragmentarisch an den Sommer; sie erinnerte sich auch an Alex, aber bis zu welchem Zeitpunkt, wussten wir nicht. Und wir fragten sie auch nicht danach. Es schien uns besser, es dabei zu belassen.
Ralph kam nicht mehr in meine Praxis. Ich hatte seine Befürchtungen offenbar zerstreut, und auf eine kosmetische Entfernung des Geschwulstes legte er offenbar nicht viel Wert. Das war an sich positiv. Vielleicht brauchte die Krankheit einfach etwas mehr Zeit.
Anfang des neuen Jahres bekamen wir wieder eine Einladung zu einer Premiere. Tschechows Die Möwe . Wir ignorierten sie einfach. Wir praktizierten eine Politik der Entmutigung, um einen möglichst großen Abstand zur Familie Meier herzustellen. Ich sage bewusst ›wir‹, denn Caroline und ich waren da ganz auf einer Linie.
Wir gingen zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einmal raus zum Essen. Bei der zweiten Flasche Wein witterte ich meine Chance.
»Weißt du, warum ich nicht zu der Premiere will?«
»Weil du im Theater immer Hyperventilationsanfälle bekommst?«, sagte Caroline und prostete mir lachend zu.
»Ja, das auch, aber noch aus einem anderen Grund. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, weil ich dachte, es geht von selber vorbei. Aber das ist nicht so, im Gegenteil.«
Es stimmte. Judith hatte mich noch öfter telefonisch zu erreichen versucht, aber jedes Mal, wenn ihr Name auf dem Display meines Handys erschien, hatte ich sie weggedrückt. Wenn sie eine Nachricht auf der Mailbox hinterließ, rief ich nicht zurück. Meiner Assistentin hatte ich aufgetragen, keinen Anruf von Judith Meier durchzustellen, sie solle sagen, ich sei mit einem Patienten beschäftigt und würde mich später melden. Was ich nie tat.
Zweimal rief sie bei uns zu Hause an, beide Male bekam sie Caroline an den
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