Sommerhaus mit Swimmingpool
dir?«
Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Noch neunundfünfzig Minuten trennten mich von meinem nächsten Patienten. »Es geht so«, sagte ich.
Ich hörte sie seufzen. »Du hast mich nicht mehr angerufen. Du antwortest nicht, wenn ich eine Nachricht hinterlasse.«
Ich schwieg. Ich dachte an die Gewebeprobe, an den Glasbehälter mit dem blutigen Stück Fleisch aus Ralphs Schenkel, den ich in den Treteimer geworfen hatte.
»Es war ziemlich viel los in letzter Zeit«, sagte ich. »Und dann die Geschichte mit Julia natürlich. Wir versuchen unser Leben wieder in den Griff zu bekommen, aber das ist gar nicht so einfach.«
War wirklich ich es, der da all diese Wörter aneinanderreihte? Das Lügen wurde mir ein wenig dadurch erleichtert, dass ich allein war und Judith mein Gesicht nicht sehen konnte; um mich besser konzentrieren zu können, hatte ich auch noch die Augen geschlossen.
»Ich fände es schön, dich wiederzusehen«, sagte ich.
So nahmen wir den Kontakt wieder auf. Caroline sagte ich einfach die Wahrheit. Ich gehe mit Judith Meier einen Kaffee trinken, sagte ich. Die Sache mit Ralphs Krankheit hat sie ziemlich umgehauen. Am Anfang verabredeten wir uns auf irgendeiner Café-Terrasse, später immer öfter bei ihr zu Hause. Ich hatte nur noch wenige Patienten, ich konnte ohne Weiteres eine Stunde oder länger weg. Oder ich wartete einfach, bis die Sprechstunde vorbei war. Alex und Thomas waren in der Schule. Ich will nichts beschönigen, es ging oft schnell, meistens kamen wir nicht einmal bis zum Schlafzimmer. Danach besuchten wir Ralph manchmal zusammen im Krankenhaus. Die erste Operation hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht, eine zweite hatte nach Auffassung der Spezialisten kaum Aussicht, zu einer Verbesserung des Zustandes zu führen. Es wurden alternative Therapien vorgeschlagen. Schwerere Therapien. Er konnte selbst entscheiden, ob er sich lieber stationär oder ambulant behandeln lassen wollte.
»Vielleicht wärst du lieber zu Hause?«, sagte Judith. »Ich kann dich jeden Tag ins Krankenhaus fahren.«
Sie sah mich dabei nicht an, sie saß auf einem Stuhl nebendem Bett, ihre Hand lag auf der Bettdecke, direkt neben der Hand ihres Mannes.
»Zu Hause fühlst du dich natürlich wohler«, sagte ich. »Aber es kann auch sehr schwer sein. Vor allem nachts. Hier in der Klinik sind sie besser ausgestattet.«
Es wurde ein Kompromiss vereinbart. Ralph würde im Krankenhaus bleiben und die Wochenenden zu Hause verbringen. Ich ließ mich weiterhin von Judith ein- bis zweimal in der Woche zum Kaffee einladen.
Ob es an seiner allgemeinen Benommenheit lag, an den Medikamenten oder den oft sehr unangenehmen Therapien, Ralph erwähnte jedenfalls nie meine erste Untersuchung vom letzten Oktober. Als ich einmal allein mit ihm war, weil Judith im Kiosk des Krankenhauses Zeitungen für ihn kaufte, nutzte ich die Gelegenheit.
»Schon merkwürdig, wie sich so eine Krankheit entwickelt«, sagte ich. »Man lässt ein Fettgeschwulst untersuchen, es ist harmlos, und ein paar Monate später ist man sterbenskrank.«
Ich hatte den Stuhl nah an sein Bett gerückt, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er verstand, wovon ich redete.
»Ich hatte einmal einen Patienten, der panisch in meine Praxis gerannt kam, weil er glaubte, er hätte einen Herzanfall. Die Symptome stimmten: Stiche in der Brust, trockener Mund, feuchte Hände. Sein Puls war über 200. Ich hörte ihn mit dem Stethoskop ab. Haben Sie vielleicht gestern Käsefondue gegessen?, fragte ich ihn. Er sah mich mit großen Augen an. Woher wissen Sie das? Und haben Sie ordentlich Weißwein gepichelt? Ich erklärte es ihm. Der heiße geschmolzene Käse, der eiskalte Wein. Unten im Magen verfestigt sich das Ganze zu einem riesigen Klumpen, der nicht ausgeschieden werden kann. Meist gehen die Leute noch in derselben Nacht zur Notaufnahme, aber er stand um neun Uhr morgens vor der Tür meiner Praxis.«
Ralph öffnete die Augen.
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte ich. »Ich schicke den Mann nach Hause. Natürlich ist er schrecklich erleichtert. Und zwei Wochen später stirbt er an einem Herzinfarkt. Dummer Zufall! Wenn man das in einer Kurzgeschichte verwenden würde oder in einem Film, würde einem das keiner abnehmen. Aber es ist eine wahre Geschichte. Das Käsefondue und der Herzinfarkt hatten nichts miteinander zu tun.«
»Das nennt man Pech«, sagte Ralph und lächelte matt.
Ich betrachtete die Umrisse seines Körpers unter der
Weitere Kostenlose Bücher