Sommerhaus mit Swimmingpool
Bettdecke. Es war noch derselbe Körper, nur hier und da wirkte er etwas eingefallen. Wie ein leicht abgeschlaffter Luftballon am Tag nach der Geburtstagsfeier.
»Ja, verdammtes Pech«, sagte ich.
Julia ging es langsam etwas besser. Jedenfalls war das unser Eindruck. Sie brachte immer öfter Freundinnen mit nach Hause, erzählte manchmal von der Schule, ohne dass wir sie zu drängen brauchten, und sie lachte wieder. Verhalten zwar, aber sie lachte. An anderen Tagen wiederum schloss sie sich lange in ihr Zimmer ein.
»Es wird auch mit dem Alter zu tun haben«, sagte ich.
»Das ist vielleicht das Schlimmste«, sagte Caroline. »Dass wir es nie herausfinden werden. Was am Alter liegt und was an … an dem anderen.«
Manchmal studierte ich Julias Gesicht, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Ihre Augen. Ihren Blick. Er war anders als vor knapp einem Jahr. Nicht einmal trauriger, nur ernsthafter. Nach innen gekehrter, wie man das gerne nennt. Caroline hatte recht. Auch ich wusste nicht, ob das mit ihrem Erwachsenwerden zu tun hatte oder mit den Ereignissen am Strand, an die sie sich nicht erinnern konnte.
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43
Die Sommerferien verbrachten wir in den USA . Mal was anderes , hatten wir uns gedacht. Etwas anderes als ein Urlaub am Strand (oder am Swimmingpool). Eher eine Reise als ein Urlaub. Eine Reise mit viel Ablenkung, mit neuen Eindrücken und wenig Zeit zum Nachdenken.
Eine Reise würde Julia zwar nicht unbedingt wieder ›heil‹ machen, aber reinigend war das auf seine Weise schon. Und vielleicht konnten wir danach ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen.
Chicago war unsere erste Station. Wir fuhren mit dem Aufzug bis zur obersten Etage des Sears Tower und blickten über die Stadt und den Lake Michigan. Wir machten eine Rundfahrt in einem offenen Doppeldeckerbus. Wir frühstückten bei Starbucks. Abends aßen wir in einem Restaurant, wo es fantastische Pasta gab – Julias Lieblingsessen. Aber auch da behielt sie die weißen Stöpsel ihres iPods in den Ohren. Es war nicht so, dass sie sich ganz verschlossen hätte: Sie lächelte dankbar, wenn der Ober die Ravioli vor sie hinstellte und Käse darüberrieb; sie legte ihren Kopf an Carolines Schulter und streichelte ihren Arm. Sie sagte bloß kaum ein Wort. Manchmal summte sie die Melodie eines Songs, den sie gerade hörte. Normalerweise hätten wir etwas gesagt. »Wir sitzen hier am Tisch und essen, Julia. Du kannst nachher wieder Musik hören.« Aber wir dachten, soll sie doch tun,was ihr Spaß macht. Für ein neues Kapitel ist es wohl noch zu früh.
Wir mieteten ein Auto, einen weißen Chevrolet Malibu, und fuhren Richtung Westen. Die Landschaft wurde immer karger und leerer. Lisa war ganz aus dem Häuschen, als sie den ersten Cowboy und die ersten Bisons sah. Aber Julia behielt ihre Ohrstöpsel im Ohr. Wir mussten schreien, damit sie uns hörte. »Schau doch mal, Julia«, schrien wir, »da oben auf dem Felsen. Ein Geier!« Dann zog sie einen der Stöpsel heraus und fragte: »Was?« »Ein Geier. Da. Ach, jetzt ist er weg.« Im Badlands-Nationalpark warnten Schilder vor Klapperschlangen. Beim Mount Rushmore machten wir Fotos von den aus den Felsen gehauenen Gesichtern der vier amerikanischen Präsidenten. Das heißt, Lisa machte die Fotos, wir hatten ihr die Kamera gegeben. Ich selber habe nie die Geduld für so was gehabt. Als die Kinder noch klein waren, fotografierte Caroline, aber später hörte auch sie damit auf. Aber Lisa machte es richtig Spaß, sie hatte schon mit neun damit angefangen. Am Anfang fotografierte sie in den Ferien vor allem Schmetterlinge und Blumen, später rückte die Familie in den Mittelpunkt.
Julia tat ihr Bestes. Jedes Mal, wenn Lisa die Kamera auf sie richtete, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Aber sie tat es eigentlich nur für uns. Als fühlte sie sich schuldig wegen ihrer Trübsinnigkeit. Im Custer State Park, wo wir für ein paar Tage eine Hütte gemietet hatten, sagte sie das auch: »Sorry, ich bin im Moment nicht gerade eine besonders angenehme Gesellschaft.« Wir saßen vor der Hütte an einem Tisch, auf dem Grill brutzelten Steaks und Hamburger. »Sei nicht albern, Julia«, sagte Caroline. »Du bist die liebste und tollste Tochter, die man sich wünschen kann. Du musst machen, was dir Spaß macht. Dazu sind die Ferien schließlich da.«
Lisa stand am Grill und wendete das Fleisch. »Und ich?«, rief sie. »Bin ich auch die Tollste und Liebste?«
»Natürlich«, sagte Caroline. »Du auch. Ihr
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