Sommerhaus mit Swimmingpool
Apparat. Ich merkte es an Carolines Antworten, dass es Judith war. Ja, es geht … in letzter Zeit etwas besser … Ich bin nicht da! , signalisierte ich meiner Frau.
»Es gibt auch noch einen anderen Grund. Ich habe keine Lust, Judith bei der Premiere zu treffen«, sagte ich. »Du hast wahrscheinlich nichts gemerkt, aber die Frau ist hinter mir her. Schon damals, im Sommerhaus.«
Ich sah meine Frau an. Sie schien nicht gerade schockiert zu sein. Im Gegenteil, sie schien es eher amüsant zu finden.
»Warum lachst du? Hast du es gemerkt oder nicht? Die Judith war hinter mir her, ganz klar.«
»Sei mir nicht böse, ich lache dich gar nicht aus, aber du denkst immer gleich, eine Frau will was von dir, nur weil sie ein bisschen mit dir flirtet. Judith ist eine Frau, die mit allen Männern anbändelt. Aus Unsicherheit, glaube ich.«
Ich kann nicht leugnen, dass Carolines Reaktion mich enttäuschte. Für sie war es nur ein harmloser Flirt gewesen. Sie hatte überhaupt nichts mitgekriegt. So einfach war es also, dachte ich.
»Sie ruft mich ständig auf dem Handy an, Caroline. Sagt, dass sie mich vermisst und mich sehen will.«
Caroline schüttelte lachend den Kopf und nahm einen kräftigen Schluck.
»Ach, Marc, sie braucht einfach ein bisschen Aufmerksamkeit. Kein Wunder bei einer Dampfwalze wie Ralph. Schließlich bist du Arzt – womöglich will sie ja von dir untersucht werden.«
»Caroline …«
»Entschuldige, wenn ich dich aus deinen Träumen reiße, aber du bist selber schuld. Judith macht es so bei allen Männern. Ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen. Bei Stanley war’s genauso. Ein bisschen kichern, ein bisschen die Hände durchs Haar streichen, melancholisch auf dem Sprungbrett sitzen und die Füße ins Wasser baumeln lassen … Das ganze Repertoire. Mich wundert nur, dass du darauf reingefallen bist. Bei ihm hatte sie übrigens mehr Erfolg als bei dir.«
Ich starrte sie an.
»Was guckst du so? Oh Marc, du bist manchmal so naiv! Du glaubst, die Frauen tanzen betört um dich herum. Aber so eine wie Judith weiß genau, was sie tut. Ich hatte es dir eigentlich erzählen wollen, aber ich habe es einfach vergessen. Es war an einem Nachmittag am Swimmingpool, ihr wart im Dorf. Ralph, du, die Kinder. Emmanuelle fühlte sich nicht wohl und hatte sich hingelegt. Es knisterte schon die ganze Zeit zwischen den beiden. Ich bin nach oben gegangen, um mir was zu trinken zu holen, und als ich aus dem Fenster schaute, sah ich, wie Stanley sich über Judith beugte, die im Liegestuhl lag. Er schleckte sie von oben bis unten ab – und zwar gründlich. Ich habe extra laut mit den Gläsern gescheppert, als ich die Außentreppe hinunterging, doch da lagen sie schon wieder brav jeder in seinem Liegestuhl. Aber was nicht zu übersehen war … in Stanleys Badehose, du verstehst schon. Er sprang dann auch gleich ins Wasser.«
Etwa einen Monat nach der Premiere der Möwe stand ein kleiner Bericht in der Kulturbeilage der Tageszeitung:
Alle Aufführungen von Tschechows Möwe
entfallen wegen Erkrankung des Hauptdarstellers
Es standen nur ein paar Sätze darunter. »… Ralph Meier … bis auf Weiteres …« Um was für eine Krankheit es sich handelte, wurde natürlich nicht erwähnt. Ich hatte schon den Hörer in der Hand, als ich beschloss, noch etwas zu warten.
Judith rief am nächsten Tag an.
»Er liegt seit letzter Woche im Krankenhaus«, sagte sie und nannte den Namen. Es war dasselbe Krankenhaus, dem ich die Gewebeprobe geschickt hatte – dem ich die Gewebeprobe nicht geschickt hatte.
Ich presste mein Handy ans Ohr. Ich saß am Schreibtisch im Sprechzimmer. Der nächste Patient – der letzte an dem Tag – kam erst in einer Stunde. Dieses Mal hatte ich abgenommen, als ihr Name auf dem Display erschien.
Ich stellte ein paar allgemeine Fragen. Über die Symptome. Die vorgeschlagene Behandlung. Ihre Antworten bestätigten meine Diagnose. Ralphs Körper hatte lange Widerstand geleistet – länger als normal –, aber jetzt gab es kein Halten mehr. Die Krankheit hatte mehrere Stadien übersprungen, vor allem die, in denen eine Behandlung noch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Schützengräben, dachte ich. Ganze Linien von miteinander verbundenen Schützengräben, die einer nach dem anderen überrannt worden waren. Weil Judith die Gewebeprobe nicht erwähnte, brachte ich sie selber zur Sprache.
»Merkwürdig, man hat damals doch wirklich nichts gefunden.«
»Marc?«
»Ja?«
»Wie geht es
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