Sommerhaus mit Swimmingpool
kaufte sich eine Bluse. Und ein Paar Nikes. Ich wartete meist draußen, wenn sie ihre Mutter in die soundso vielte Boutique zerrte.
Ab und zu lachte sie. Es war ein echtes Lachen. Im Apartment stand sie lange vor dem Spiegel und führte ihre Einkäufe vor. »Ja, steht es mir wirklich?«, fragte sie. »Ist es hier an den Schultern nicht etwas zu eng?«
Lisa fotografierte sie, wie sie auf der Terrasse in ihrem neuen Outfit posierte. Julia stellte ein Bein auf eine horizontale Leiste der Balustrade, setzte ihre neue Sonnenbrille auf und schob sie aufs Haar. Lisa ging in die Hocke. »Schau jetzt mal zur Sonne«, sagte sie. »Und jetzt zu mir … Ja, so … genau so … Nicht bewegen.«
An einem der letzten Tage gingen wir noch einmal mexikanisch essen auf einem mit Palmen und Kakteen bepflanzten Patio nicht weit vom Strand.
»Eine Margarita?«, fragte ich Caroline.
»Eine können wir uns erlauben, finde ich«, sagte sie und zwinkerte mir zu.
Später gab es eine Parade auf der Hauptstraße der Stadt. Unsere Töchter schlängelten sich durch die Menge, um alles besser sehen zu können, während wir auf dem Bürgersteig blieben – ohne sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
»Wir haben uns wirklich übernommen«, sagte ich.
Meine Frau lehnte den Kopf an meine Schulter. Ich fühlte die Wärme ihres Haars an meiner Wange.
»Ja«, sagte sie.
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44
An einem Sonntag, ein paar Wochen nach unserer Rückkehr, kopierte ich die Fotos, die Lisa in den USA gemacht hatte, auf mein Notebook. Ich schaute sie mir in umgekehrter Reihenfolge an, die letzten zuerst. Ich wollte es mir selbst nicht recht eingestehen, aber ich hatte Angst vor den Fotos vom Anfang unserer Reise. Genauer gesagt: vor den Fotos von Julia.
Rasch klickte ich mich durch die Aufnahmen von den Casinos am Strip von Las Vegas. Dann kam ein Bild vom singenden Cowboy im mexikanischen Restaurant. Caroline und ich, wie wir unsere Margaritas schlürfen und der Fotografin fröhlich zuwinken. Auf dem nächsten Foto blickt Julia direkt in die Kamera, vor ihr die unangerührten Enchiladas. Ich zwang mich, meiner Tochter in die Augen zu sehen. Ich sah, wovor ich Angst hatte, aber auch noch etwas anderes. Vor den Ereignissen beim Sommerhaus war Julias Blick ein anderer gewesen. Unbefangen. Unversehrt , verbesserte ich mich sofort. Und so betrachtete ich den versehrten Blick meiner Tochter und versuchte, an nichts zu denken. Mir war klar: Wenn ich an irgendetwas denken würde, war ich verloren.
Ich schloss die Augen und drückte mit den Knöcheln fest auf die Lider. Eine halbe Minute, vielleicht noch länger. Dann öffnete ich die Augen wieder. Und jetzt fiel mir etwas anderes auf, etwas, was eigentlich kaum zu übersehen war.
Julia war immer schon ein hübsches Mädchen gewesen.Ein unbefangenes Mädchen, dem so mancher erwachsene Mann nachschaute. Aber auf der Terrasse des mexikanischen Restaurants machte sie alles andere als einen unbefangenen Eindruck. Es war nicht eigentlich ein trauriger, es war ein ernster Blick. Julia war jetzt vierzehn. Sie blickte nicht mehr als Mädchen in die Kamera, sondern als junge Frau. Eine junge Frau, die Dinge erlebt hatte. Die Dinge wusste . Es machte sie schöner. Sie hatte sich von einem gewöhnlichen hübschen Mädchen in eine richtige Schönheit verwandelt.
Ich klickte weiter zurück. Ich sah öde, von Kakteen bewachsene Landschaften. Tankstellen und Burger Kings. Endlose Güterzüge. Es gab ein Foto von Caroline, Julia und mir an einem Picknicktisch bei einem Aussichtspunkt am Grand Canyon. Es musste kurz vor Julias Weinkrampf aufgenommen worden sein. Ich sehe nicht mehr, wie schön alles ist , hatte sie gestammelt. Doch in ihrem Gesicht entdeckte ich schon die ersten Zeichen der Veränderung, die sich auf der Terrasse in Williams definitiv vollzogen hatte. Noch ein paar Fotos zurück, posierend vor den aus den Felsen gehauenen Präsidenten am Mount Rushmore, blickte sie fast forschend in die Linse. Als suche sie etwas. Vielleicht suchte sie sich selbst, dachte ich jetzt.
Die Fotos hörten mit den Wolkenkratzern von Chicago auf, dem Blick auf den Lake Michigan vom Sears Tower. Das dachte ich zumindest. Aber es gab noch andere. Auf eine Nahaufnahme der Anzeigetafel am Flughafen Schiphol mit unserem Flug ( KL 0611 – Chicago – 11.35 – C14) folgte das Foto einer Blume. Keine Blume, die mir bekannt vorkam. Unten auf dem Bildschirm stand die Nummer neunundsechzig. Noch achtundsechzig Fotos bis zum
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