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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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Anfang … Ich klickte weiter: ein Schmetterling auf einer weißen Mauer, eine braune Kuh mit einem dicken Ring durch die Nase.
    Mir schwante nichts Gutes. Auf der digitalen Kamera war Platz für mehr als tausend Fotos. Lisa hatte mindestens dreihundert in den USA gemacht und neunundsechzig während der letzten Ferien. Im Sommerhaus. Und offenbar dazwischen kein einziges.
    Einige Fotos weiter sah ich mein eigenes Gesicht am Frühstückstisch in dem kleinen Hotel in den Bergen. Mit dem blutunterlaufenen Auge an dem Morgen, an dem ich mich selbst vor dem Spiegel operiert hatte. Ich zögerte nur einen Moment, ob ich mir auch den Rest antun sollte. Dies waren die Fotos, die ich nicht hatte sehen wollen, oder besser gesagt: deren Existenz ich verdrängt hatte, die gewöhnlichen Ferienfotos, die nie mehr gewöhnlich sein würden, wenn man wusste, was danach passiert war. Unbeschwerte Ferienfotos, keine Wolke trübt den Himmel. Meine dreizehnjährige Tochter auf einem grünen aufblasbaren Krokodil in einem Swimmingpool. Meine lachende Tochter – damals noch.
    Doch die Fotos aus den USA hatten meine Neugier geweckt. Ich wollte mich mit eigenen Augen davon überzeugen, ob es stimmte, dass Julia vor einem Jahr noch ein Mädchen gewesen war und jetzt nicht mehr.
    Ich klickte also immer weiter zurück. Ich sah Julia mit Alex in einem Liegestuhl, jeweils einen der weißen Ohrhörer von Julias iPod im Ohr. Ralph, wie er den Schwertfisch in Stücke hackt. Ralph, Alex und Thomas beim Tischtennis. Julia und Alex bis zur Hüfte im Wasser an einem der einsamen Strände, Julia winkt in die Kamera, Alex hat den Arm um ihre Taille gelegt. Caroline, die auf dem Handtuch liegt und schläft. Judith mit einem Tablett voller Gläser und einer Karaffe mit roter Limonade. Ich sah auch mich selbst, wie ich selbstvergessen im Sand knie und einen Kanal grabe. Dann kamen die Fotos am Swimmingpool, an dem Nachmittag mit dem Wet-T-Shirt-Contest. Ein Foto von Julia auf dem Sprungbrett schaute ich mir etwas länger an. Sie hatte die Pose eines erfahrenen Fotomodells angenommen und schaute mit zusammengekniffenen Augen in die Kamera, während das Wasser aus dem Gartenschlauch auf ihrem Bauch zerstob. Professionell. Aber es war eine gespielte Professionalität, vor einem Jahr hatte sie die Mädchen aus den Zeitungen gekonnt imitiert, ein Jahr später imitierte sie nichts mehr.
    Bei dem nächsten Foto fing mein Herz plötzlich an, wie wild zu schlagen. Ich am Küchenfenster neben Judith. Wir sahen nicht die Fotografin an, sondern einander. Im Hintergrund war noch undeutlich eine dritte Person zu erkennen. Judiths Mutter. Ein paar Sekunden lang schwebte mein Zeigefinger über der Entfernen-Taste. Aber wer weiß, wer alles diese Fotos inzwischen gesehen hatte. Lisa auf jeden Fall, höchstwahrscheinlich hatte sie sie schon auf den Computer geladen, den sie sich mit Julia teilte. Ein gelöschtes Foto würde mehr auffallen als ein Foto, auf dem eigentlich gar nicht so viel zu sehen war. Ich schaute noch einmal genauer hin. Judith und ich, wir waren zu weit weg, man konnte nicht erkennen, wie wir einander ansahen.
    Auf einem Foto sah man das Vögelchen, das aus dem Baum gefallen war. Es hatte sich in die hinterste Ecke des Kartons verkrochen neben der Wasserschale und dem Waschlappen. Man konnte es geradezu bibbern sehen. Ein paar der nächsten Fotos waren nachts im Zelt aufgenommen worden, als Caroline und ich schon schliefen. Im Schein einer Taschenlampe macht Julia mit den Fingern Schattenfiguren auf der Zeltplane. Ein Kaninchen. Eine Schlange. Bisher hatte ich mich ziemlich wacker gehalten, aber jetzt merkte ich, wie meine Augen feucht wurden. Ich klickte schnell weiter.
    Noch mehr Fotos am Pool. Julia mit angezogenen Beinen im Liegestuhl. Julia auf dem Beckenrand. Auf einem Foto hat sie sich ein Handtuch wie einen Schal über die Schulter drapiert, auf einem anderen trägt sie es wie ein Cape. Es gab eine ganze Reihe solcher Fotos. Es dauerte eine Weile, bis bei mir der Groschen fiel.
    Julia posierte . Sie posierte mit verschiedenen Kleidungsstücken, das heißt, sie tat so, als hätte sie auf jedem Foto etwas anderes an. Es fiel mir auf, dass sie nie direkt in die Kamera sah, zur Fotografin, zu Lisa.
    Julia sah zu jemand anderem hin.
    Ich klickte schnell weiter zurück. Auf den letzten drei Fotos war derjenige zu sehen, für den sie posierte. Er hockte vor ihr, während sie unter der Dusche beim Swimmingpool stand. Sie hatte ein Bein angewinkelt, in

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