Sommerhaus mit Swimmingpool
dem Gartenfest per E-Mail geschickt hatte, konnte ich fast hundertprozentig sicher sein, das Sommerhaus auf der Karte gefunden zu haben. Ich gab die Adresse bei Google Earth ein und zoomte so nah heran, dass ich das Blau des Swimmingpools und sogar das Sprungbrett sehen konnte.
Einer der drei Campingplätze lag an derselben Straße zum Strand wie das Sommerhaus. Allerdings handelte es sich zu meinem Schrecken um einen »grünen Campingplatz«. Mit »Tieren vom Bauernhof«, »umweltfreundlichen Sanitäranlagen« und »schlichten Einrichtungen für den wahren Naturfreund«. Ich konnte den Gestank schon förmlich riechen. Doch ein weiterer Vorteil eines Campingplatzes, wo Spülmittel und Deodorant zweifellos verbotene Produkte waren, bestand darin, dass der Kontrast zu dem Sommerhaus mit Swimmingpool umso größer sein würde. Nach einem Sprung ins Wasser würden Julia und Lisa nie mehr weg wollen.
In ihrer E-Mail hatte Judith mir ihre beiden Telefonnummern gegeben. Eine Woche nach dem Gartenfest rief ich ein paarmal ihr Handy an, erreichte aber nur ihre Mailbox. Auch bei ihnen zu Hause nahm niemand ab. Ich wollte eine Nachricht hinterlassen, tat es aber dann doch nicht.
Als ich drei Tage später wieder anrief und nach einer Weile schon auflegen wollte, antwortete eine unbekannte Frauenstimme.
Ich nannte meinen Namen und fragte, ob ich Ralph oder Judith sprechen könne.
»Sie sind im Ausland«, sagte die Stimme – eine nicht sehr junge Stimme, wie mir schien. »Und ich kann Ihnen im Moment nicht sagen, wann sie zurückkommen.«
Ich erkundigte mich nach dem Ausland.
»Und wer sind Sie?«, fragte die Stimme.
»Ich bin der Hausarzt.«
Es blieb zwei Sekunden still.
»Ralph hat plötzlich ein Angebot bekommen. Aus Amerika. Für eine Rolle in einer neuen Fernsehserie. Und meine Tochter ist mit. Ich passe so lange auf die Jungen auf.«
Judiths Mutter. Ich erinnerte mich vage an eine Frau um die siebzig, die etwas verloren auf dem Gartenfest herumgestanden hatte. Das Los aller älteren Leute. Die Freunde der Kinder tauschen ein paar Höflichkeitsfloskeln mit einem aus und verdrücken sich dann möglichst schnell.
»Kann ich …«, sagte Judiths Mutter. »Kann ich ihnen etwas ausrichten?«
Ich widerstand der Versuchung zu sagen, das unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Stattdessen sagte ich: »Ich habe gerade das Untersuchungsergebnis bekommen. Ihre Tochter war vor ein paar Wochen bei mir in der Praxis. Nichts Ernstes, aber es wäre gut, wenn sie sich kurz melden könnte. Ich habe es schon einige Male auf ihrem Handy probiert, aber sie nimmt nicht ab.«
»Kein Wunder. Judith hat mich deshalb angerufen. Dass sie ihr Handy vergessen hat. Ich stehe in der Küche. Es liegt hier.«
Am nächsten Morgen rief Judith mich an. Die Sprechstunde hatte gerade angefangen. Der erste Patient saß mir am Schreibtisch gegenüber. Ein Mann mit dünnen grauen Haaren und einer Menge geplatzter Äderchen im Gesicht, der unter Erektionsstörungen litt.
»Ich kann nicht lange reden«, sagte sie. »Was gibt’s?«
»Wo genau in Amerika bist du?«, fragte ich, während ich das Gesicht meines Patienten betrachtete. Es sah aus wie ein brachliegendes Gelände, auf dem nie mehr etwas gebaut werden würde.
»Wir sind in Kalifornien. In Santa Barbara. Es ist hier nach Mitternacht. Ralph ist im Bad. Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Sie fand die Sache etwas merkwürdig. Sie ist zwar alt, aber sie erinnerte sich auf einmal, dass mein Hausarzt eine Frau ist. Ich musste mir rasch etwas ausdenken, ich habe gesagt, es ginge um eine Second Opinion. Aber das beunruhigte sie natürlich noch mehr.«
Ich stellte mir Ralph Meier im Badezimmer vor. Seinen massigen Körper ohne Kleider. Der Wasserstrahl der Dusche sprühte einen Schauer von Tropfen auf die Schultern, die Brust, den Bauch, der wie ein Vordach über seinen Geschlechtsteilen thronte. Ich erinnerte mich an das erste Mal, als er in meine Praxis gekommen war. Ich hatte ihn gebeten, sich oben frei zu machen. Ob er etwas sehen konnte, wenn er nach unten schaute, fragte ich mich, oder entzog dieser Bauch alles seinem Blick?
»Ich kann auch nicht lange reden«, sagte ich. »Ich wollte nur hören, wie es dir geht. Wann ihr zurückkommt.«
Ich sah den Mann mit den Erektionsstörungen an. Es gibt Pillen dagegen. Doch das ist so eine Sache. Man kriegt einen Steifen beim Anblick eines kranken Pferdes, eines leeren Papierkorbs oder des Schaufensters eines Schreibwarengeschäfts. Als Frau
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