Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
Vom Netzwerk:
Perspektive ohne Bewegung. Man kann sich nur noch auf seine Erfahrung verlassen. Man kennt die Maße eines Autos, man weiß, dass ein Auto, das erst klein erscheint und dann immer größer wird, aller Wahrscheinlichkeit nach näher kommt.
    Es war inzwischen hell geworden. Das Sonnenlicht ließ denAsphalt grell aufleuchten. Ich hätte gerne die Sonnenbrille aufgesetzt, hatte aber Angst, dass ich dann noch weniger sehen würde. Ich nahm die Ausfahrt zu einer Tankstelle, wir hatten zwar noch genug Benzin, aber ich musste etwas in den Magen bekommen. Kaffee. Ein Brötchen oder einen Schokoriegel.
    Caroline fiel etwas vornüber, als ich stoppte. Sie öffnete die Augen.
    »Ich muss mal pinkeln«, sagte ich. »Und ich hole mir was zu essen und zu trinken. Möchtest du auch was?«
    Sie nahm den Schlafsack, rollte ihn zusammen und schob ihn unter Julias Kopf. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und schüttelte den Kopf.
    »Was meinst du?«, flüsterte ich. »Wir können natürlich in einem durchfahren, aber das ist vielleicht gar nicht so gut. Ich meine, wir müssen sowieso irgendwo eine längere Pause machen, ich halte das nicht den ganzen Tag durch. Ich dachte, ob wir nicht alles noch viel schlimmer machen, wenn wir direkt nach Hause fahren? Wir könnten irgendwo in einem kleinen Hotel übernachten. Am Meer. Oder in den Bergen. Noch etwas Nettes unternehmen. Damit sie sich später nicht nur an schlimme Dinge erinnert.«
    Ich hatte in den vergangenen zwei Stunden nachgedacht. War es eigentlich noch zu verantworten, mit der Menge Restalkohol, die ich im Blut hatte, und einem von Schlafmangel derart benommenen Kopf weiterzufahren? Ich war schließlich der Hüter meiner Familie. Ich konnte jeden Moment einnicken. Ich kannte die Symptome. Man blinzelt mit den Augen, und plötzlich ist alles weg: die Reklametafel auf dem Hügel, das Landhaus mit den Zypressen, der magere Esel hinter dem Stacheldrahtzaun. Man hat geschlafen, auch wenn es nur drei Sekunden waren. Von einem Augenblick zum anderen sind die Reklametafel und der Esel verschwunden. Ein kleiner Bericht in der Zeitung. Auf der zweiten Seite. Niederländische Familie … durch die Leitplanken … Gegenspur …
    Als ich dreizehn war, brachte mein Vater mir das Autofahren bei. Erst auf einem Parkplatz, aber bald schon auf normalen Straßen. Es gibt Leute, die mögen das Autofahren nicht. Ich genieße es. Und der Grundstein für diese Liebe wurde damals gelegt.
    An einem Nachmittag fuhren wir auf einer schmalen, kurvenreichen Straße in der Veluwe. Ich am Steuer, mein Vater neben mir, meine Mutter hinten. Wir näherten uns einer scharfen Linkskurve. Ich befand mich in der Phase, in der alles schon fast wie von selbst ging. Dann ist das Fahren am gefährlichsten, denn man verliert die Konzentration. Ich sah das Auto, das uns entgegenkam, zu spät. Als ich das Steuer nach rechts riss, kamen wir von der Straße ab. Es ging eine leichte Böschung hinunter, ich konnte noch ein paar Bäumen ausweichen, krachte dann aber gegen einen Picknicktisch. Vater stieg aus und inspizierte den Schaden. Dann setzte er sich ans Steuer und fuhr das Auto wieder zur Straße.
    Ich dachte, das war’s, aber er hielt an und stieg aus.
    »Jetzt du wieder«, sagte er.
    »Ich weiß nicht …«, piepste ich; ich war schweißgebadet. Eines stand für mich felsenfest: Ich wollte nie wieder Auto fahren.
    »Jetzt erst recht«, sagte mein Vater. »Sonst traust du dich später nicht mehr.«
    Daran hatte ich in den ersten Stunden nach unserer Abfahrt vom Sommerhaus gedacht. Ich hatte an Julia gedacht und daran, was die abgebrochenen Ferien für sie bedeuten könnten. Wir hatten inzwischen mehr als hundert Kilometer hinter uns, wir waren weit genug weg – aber es lag noch eine lange Fahrt vor uns. Zu Hause würden ihre Freundinnen und Verwandten sie mit Fragen bestürmen. Sowohl das Beantworten als auch das Ausweichen würde unangenehm für sie sein. Wir waren jetzt noch zu viert. Vielleicht war es besser, wenn das noch eine Weile so blieb.
    »Ich weiß nicht«, sagte Caroline. Wir schauten auf unsere schlafenden Töchter. Ich legte eine Hand auf die Schulter meiner Frau. Ich strich ihr übers Haar.
    »Ich weiß es auch nicht«, sagte ich. »Es war nur so eine Idee. Ein Gefühl. Aber ehrlich gesagt, weiß ich es wirklich nicht. Deshalb frage ich dich. Du sollst entscheiden.«
    Zwei Stunden vorher hatte ich Caroline geweckt. »Wir müssen hier weg«, hatte ich gesagt. »Ich erkläre dir alles später.«

Weitere Kostenlose Bücher