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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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zu Sonja, die vermutlich gerade – von wem eigentlich? – genau dorthin gebracht wurde. Ich manövrierte mich umständlich in die Vertikale und erwartete, draußen spektakuläre Landschaft zu sehen, gleichzeitig gähnte ich herzhaft, was einen passenden Kommentar zur Aussicht darstellte. Wir waren offenbar längst in Ungarn, aber wenn das die Puszta war, mussten die Legenden über feurige Menschen und noch feurigeres Essen aus einer anderen Gegend stammen. Uns umgaben öde wirkende, bis zum Horizont reichende Wiesen, die irgendwie dürr, aber nicht ausgetrocknet wirkten. Hin und wieder gab es unscheinbare Gehöfte oder seltsame Brunnen, an denen komplizierte Holzaufbauten befestigt waren, ansonsten ließ mich die Eintönigkeit an die mit dem grauen Himmel verschwimmende, graue Ostsee im November denken, die ich vor zwei Jahren bei einem Kurzbesuch gesehen hatte. Hier war der Himmel zwar deutlich heller, aber ebenso grau, mit einer leichten bläulichen Tönung, und es hätte sich ebenso gut um sehr unscheinbare, dichte Bewölkung handeln können. Außerdem war es natürlich viel wärmer als im Spätherbst an der Ostsee, aber meine Erwartungen an das Reiseziel, auf dessen Erreichen wir so lange hingearbeitet hatten, sanken praktisch minütlich.
    »Wird es noch schöner?«, fragte ich laut, womit ich Papa offenbar aus tiefen Gedanken weckte. Meine klobige, dafür aber sehr leichte Jungsuhr zeigte an, dass es auf den Nachmittag zuging, und ich nutzte die Gelegenheit, sie aufzuziehen. Mein Vater nickte mir kurz zu und dann in der gleichen Bewegung in Mamas Richtung. Sie schlief und machte dabei Geräusche, die dem Winseln von Tante Corbis Hund Kenny (eigentlich hieß er Kennedy, wurde aber nie so genannt) ähnelten, wenn der vor der Wohnungstür saß und auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Ich nickte zurück, das Gesicht meines Vaters sah müde und traurig aus, aber er schenkte mir trotzdem ein freundlich gemeintes Augenzwinkern.
    Auf der flimmernden Landstraße war wenig los, nur die wenigen Fahrzeuge, denen wir begegneten, machten es spannender. Vor uns befand sich einer der eiförmigen, einachsigen Wohnwagen, der vermutlich an einem Trabant oder Wartburg hing, aber hinter uns fuhr ein Fahrzeug, das ich noch niemals gesehen hatte. Es war so groß wie ein Laster, war aber keiner. Die Frontpartie des weiß lackierten Vehikels wurde von einer riesigen Scheibe beherrscht, hinter der ein dicker Mann saß, und neben ihm eine dicke Frau. Als er bemerkte, dass ich sie ansah, hob der Mann die Hand und winkte mir. Ich tat es ihm gleich.
    »Was ist das?«, flüsterte ich meinem Vater in den Nacken. Er schob sich ein wenig zur Seite. »Ein Wohnmobil«, sagte er leise.
    »Ein Wohnmobil«, wiederholte ich, während der Koloss zum Überholen ansetzte. Wenige Sekunden später fuhr das sicher über zehn Meter lange Ding an uns vorbei. Ein riesiger Wohnwagen ohne Zugfahrzeug, ein Haus auf Rädern. Ich staunte darüber, dass es Menschen geben konnte, die so oft unterwegs waren, dass sie ein ganzes Haus mitnehmen mussten. Oder konnten. Als das Wohnmobil vorbeigefahren war,sah ich sein Nummernschild. Die Buchstaben waren ausladender als die auf dem unsrigen, dessen Beschriftung mit einem »G« begann. Neben dem Nummernschild klebte das Nationalitätskennzeichen »D«.
    »Wo kommt der her?«, frage ich leise.
    »Berlin«, antwortete Papa.
    Berlin – das konnte nicht sein. Berliner Kennzeichen begannen mit einem »I«, aber dieses hatte ein »B« als führenden Buchstaben. »B« stand für irgendwas nördlich von Berlin – Schwerin oder so, wenn ich mich richtig erinnerte.
    Ich fragte nicht weiter nach und beobachtete. Mit der Zeit wuchs der Anteil der Autos aus dem Westen sichtlich an, bis es sich irgendwann die Waage hielt, wobei es natürlich auch PKW aus Ungarn gab, mit schwarzhaarigen Menschen hinter den Lenkrädern, meistens Männer.
    Die Landschaft wechselte geringfügig, es würde hügliger, die Luft enthielt mehr Würze, eine Nuance Harz und dann noch etwas, das zugleich süßlich und herb war und sich mit der Zeit weiter verstärkte. Mama erwachte und schenkte mir ein müdes Lächeln, das nichts mit ihrer morgendlichen Begrüßung gemein hatte, wenn wir uns daheim zum Frühstück sahen.
    »Wir sind gleich da«, sagte Papa. »Höchstens noch eine Stunde.«
     
    Das Erste, was ich vom Campingplatz sah, waren zwei Karussells, gedeckt angestrichene Gestelle aus schmalen Stahlrohren, eines in hellem, blassem Gelb, bei dem am

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