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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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und es gab sogar kleine Plätze, die von Zelten –
nicht
aus DDR-Fertigung – umrundet wurden und auf denen Leute Sitzgruppen und Grills aufgebaut hatten, praktisch private Höfe. Mit etwas gutem Willen hätte man noch sehr viele Leute – und uns natürlich auch – dort unterbringen können, aber der zahnlückige Fahrradmann wies stoisch auf das geneigte Stück Wiese. Als Vater einen Schritt auf ihn zu und dabei ein ernstes Gesicht machte, veränderte sich der Gesichtsausdruck des Alten schlagartig.
    »Administration!«, zischte er und nahm eine seltsame Haltung ein, irgendwas zwischen bedrohlich und lächerlich. Der Mann dünstete starke Tabakaromen, natürlich Schweiß und den Geruch von gebratenem, fettem Speck aus.
    Vater ließ die Schultern sinken, Mama legte ihm eine Hand auf den Oberarm.
    »Administration«, wiederholte der Wärter, hob das Vorderteil des kindischen Klapprades zur Seite und strampelte zurück in Richtung Einfahrt.
    »Tja, so werden hier die DDR-Bürger behandelt, von den Vertretern des sozialistischen Bruderlandes«, sagte jemand. Neben uns stand ein Paar, zwei Westler, die etwas älter als meine Eltern waren – Klaus-Peter zählte vierunddreißig Jahre, Luise ein Jahr mehr – und die genau gleiche T-Shirts, Turnhosen und weiß-blaue Badelatschen trugen. Der Mann war sehr breit, ein kompakter, etwa eins fünfundsechzig großer Kerl,und seine Frau, die buschige Augenbrauen hatte und stark gewellte, dunkelblonde Haare, überragte ihn um gut zehn Zentimeter. Beide lächelten freundlich, ihre Haut war kalkweiß, nur bei dem Mann zeigte sich eine erste Rötung am Halsansatz.
    »Hallo, wir sind Manfred und Susanne aus Ingolstadt«, sagte er und reichte Papa die Hand.
    »Klaus-Peter«, sagte Papa und griff zögerlich nach Manfreds Hand, dabei sah er sich nach beiden Seiten um, als gäbe es die Gefahr, dass Herr Leder irgendwo lauerte und uns beobachtete. »Aus Dresden. Das ist meine Frau Luise, und das ist Falk, unser Sohn.« Kurz war in seinem Gesicht ein schmerzhafter Ausdruck zu sehen, und ich wusste, an wen er dachte.
    Die ersten Westler, mit denen ich sprach. Ich hatte das bisher noch nie getan. Natürlich hatte ich schon welche gesehen, auf der Straße und zwei Mal bei Freunden, die Westbesuch bekamen, was dazu führte, dass ich hinausexpediert wurde, bevor irgendwer etwas sagen konnte.
    Ich deutete eine Verneigung an, Manfred und Susanne lächelten.
    »Können wir euch helfen?«, fragte der Mann.
    Euch? Ich starrte ihn an. Westler und DDR-Bürger duzten sich? War das erlaubt? Konnte man das einfach tun?
    Meine Mutter lächelte ein bisschen müde, nickte kurz und sagte: »Danke.«
     
    Gemeinsam bekamen wir es so hin, dass der Anhänger nicht schief stand, weil Manfred Holzklötze anbrachte, die wir auf einer Seite unter die Stützen stellen konnten. Im Vergleich zu dem, was uns umgab, sah der Zeltanhänger unglaublich lächerlich aus. Als Papa und Manfred das kastenförmige, hellgraue Zelt ausgeklappt hatten, schämte ich mich ein wenig für das Gestell, das nach Eigenbau und Flickschusterei aussah, und dann dachte ich an die beiden Karussells.
    Danach wurde das kleine, dunkelgrüne, dreieckige Zwei-Personen-Zelt aufgebaut, in dem eigentlich Sonja und ich hätten wohnen sollen. Jetzt wäre es für mich allein.
    Während wir aufklappten, aufbauten und auspackten, redete Manfred ununterbrochen. Er sprach vom warmen Wasser des Sees, den er »großer Tümpel« nannte, erzählte davon, wie schwierig es hier war, gutes Grillfleisch zu bekommen, wie labberig das Bier schmeckte – es hieß »Balatoni«, wie ich von ihm erfuhr –, welche Csárdás es in der Nähe gäbe, und was man tun musste, um dort zuvorkommend bedient zu werden. Er plapperte vom günstigen Tauschkurs des ungarischen Forint, vom Wetter, der langen Fahrt hierher und vielem anderen. Papa nickte und lächelte dazu, auch wenn Manfred einen Gegenstand in die Hand nahm – eine Zeltstange, einen Topf, einen Klappstuhl –, skeptisch musterte und dazu Kommentare wie »Lebensgefährlich« oder »Kein Wunder, dass ihr nicht vorankommt« absonderte.
    Als fast alles fertig war, musste ich plötzlich schnuppern. Die vielen Gerüche hier überforderten mich fast, unsere neuen Freunde aus Ingolstadt, wo auch immer sich das befand, trugen eine ganze olfaktorische Welt mit sich herum, aber diesen Duft hätte ich jederzeit und überall ausmachen können, selbst in den stinkenden Waschhäusern in zehn Metern Entfernung von unserem

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