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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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nickte.
    Er lächelte verkrampft. »Ein bekannter Sänger. Aber ich komme nicht auf Ihren Namen.«
    »Immerhin«, sagte ich, mühte mich aber nicht damit ab, ein Martin-Gold-Lächeln aufzusetzen, »kann ich mich noch an ihn erinnern, und das ist ja wohl die Hauptsache.«
    Er kicherte. Ich konnte den rasch wachsenden Schweißflecken unter seinen Achseln trotz des blickdichten Anzugs olfaktorisch bei der Ausbreitung zuschauen. Währenddessen dachte ich an Gerrys Vita – György hatte ein wenig geforscht und mir ein paar Dossiers angefertigt.
Wir sind stärker als du, und das werden wir immer bleiben
, so oder so ähnlich hatte er es damals formuliert. Vielleicht funktionierte die Lebenslüge, in der er es sich bequem gemacht hatte, immer noch, und er glaubte, wie damals im Frühjahr 1984, der Stärkere zu sein, der Gewinner, derjenige, der zuletzt lachte. Aber ich wusste es besser. Und wieder musste ich dem Impuls widerstehen, laut aufzulachen. Ach, Gerry, du arme Sau. Du blödes Schwein.
    »Ich komme gleich drauf. Darf ich mich setzen?«
    »Bitte.« Ich blickte zum Tresen, Chrissie beobachtete uns und lächelte, etwas fragend. Ich zwinkerte ihr zu.
    Gerald Herbing setzte sich und legte die Hände auf den Tisch zwischen uns, die abgespreizten Daumen an der Tischkante, wo er sie in einer nervösen Bewegung mehrfach beugte und wieder aufstellte. Er blinzelte, seine riesigen, ausgefransten Brauen verstärkten die Veränderung seiner Mimik. Einer von den anderen beiden am Empfang kam ihm zu Hilfe. »Cool sein!«, rief er, verschränkte die Arme vor der Brust und sang tatsächlich, aber ziemlich falsch: »Wenn
das
cool ist …«
    Gerry grinste. »Martin Gold. Sie sind Martin Gold.«
    »Stimmt.«
    »Wow. Darf ich fragen, was Sie hier machen? Ein Konzert?«
    »Nein, ich bin zur Entspannung hier. Und, wie soll ich sagen? Um ein bisschen mit mir ins Reine zu kommen.«
    Er kicherte wieder. »Sie sind sicher ein vielbeschäftigter Mann. Viel unterwegs und so.«
    »Verhältnismäßig.«
    »Wir haben hier ein Klassentreffen. Das erste seit fast dreißig Jahren. Siebenundzwanzig, um genau zu sein.«
    »Toll«, sagte ich. Gerry nickte heftig.
    »Das ist sehr aufregend«, erklärte er, ohne zu ahnen, wie aufregend es noch werden würde. »All die alten Gesichter.« Er kicherte abermals, fast wie das Keckern eines Papageis. »Die Hackfressen«, sagte er, etwas leiser.
    »Hackfressen«, wiederholte ich, auch leise, fast verschwörerisch. Dabei dachte ich: Jetzt ein Beil und keine Zeugen.
    Er lehnte sich zu mir. »Na, Sie wissen schon. Hübscher ist keiner geworden.« Dann, als wäre ihm etwas eingefallen, sah er zu Chrissie. »Obwohl. Die Schnitte am Empfang war damals auch dabei. Sieht schon noch ordentlich aus für über vierzig, finden Sie nicht?«
    »Im Gegensatz zu den anderen?«, soufflierte ich.
    »Aber hallo«, platzte er hervor. Dann, wieder leise: »Die beiden Kollegen da. Der dicke Sack und dieser bleiche Schlaks.Wenn Sie Fotos von früher sehen würden …« Er lachte und beendete die Oszillation seiner Daumen an der Tischkante. Ich rätselte, wer die
Kollegen
wohl wären, aber György hatte es nicht mehr geschafft, mir aktuelle Fotos zu besorgen. Henning und Thomas waren es aber ganz sicher nicht.
    »Darf ich Sie was fragen? Sie können nein sagen, wenn Sie wollen.«
    »Kann ich?«
    Er lachte aufgesetzt. »Sie sind mir einer.«
    Aber hallo
, um es mit seinen Worten zu sagen.
    »Bin ich?«
    »Diese Nummer haben Sie jedenfalls echt gut drauf.«
    Ich notierte mir im Geist, dass sich Gerry-Sprech bis etwa Mitte der Neunziger zaghaft mitentwickelt hatte, um dann drastisch zu stagnieren.
    »Danke für das Kompliment.« Ich seufzte und sah ostentativ auf die Uhr.
    »Ja, jedenfalls. Wenn Sie sowieso hier sind und heute Abend nichts vorhaben. Ich meine, wenn es passt und so. Das wäre echt irre, und eine totale Überraschung.«
    »Ein Auftritt?«, beendete ich die Anfrage, die sonst wahrscheinlich noch weitere zehn Minuten in Anspruch genommen hätte.
    Er grinste und ließ die Handflächen auf den Tisch klatschen. »Ja, genau. Vor uns allen, also dem Klassentreffen. Das mit der Technik geht hier sicher klar. Das wäre eine unvergessliche Sache. Der Hammer.« Gerry nickte zur Seite, wo mein Gepäck stand, darunter, gut erkennbar, auch für Laien, ein Gitarrenkoffer. Er wusste ja nicht, dass ich außerdem meinen Laptop mit den Playbacks dabeihatte und längst wusste, dass im Hotel das ansonsten nötige Equipment zur Verfügung

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