Sommerhit: Roman (German Edition)
Frischwasser von hinten auf die Bühne. Ich hatte noch nie während eines Auftritts Alkohol getrunken, doch die Konzentration litt erstaunlicherweise kaum. Am Ende des Sets und der zwei Zugaben war ich leicht angeschickert, dafür machte es Spaß. Klar, in diesem Laden befand sich kein einziger Mensch, der vor fünf, sechs Jahren eines meiner Konzerte besucht hätte, aber die Hemmungslosigkeit wirkte ansteckend, die Nähe zum Publikum tat das Ihrige, und als wir aus der Garderobe kamen und Minka den Hinterausgang anpeilte, nahm ich ihre Hand und zog sie zurück auf die Tanzfläche. Es gab ein großes Hallo, wir bekamen abermals Drinks spendiert, wedelten mit den Extremitäten zu absurden Stücken wie einer Disco-Version von Udo Jürgens’ größten Hits oder einer klamaukigen Volkstümelei mit Chorgesang und stampfenden, schneller werdenden Bassläufen. Wir beugten uns sogar dem kategorischen Karnevalsimperativ »Und dann die Hände zum Himmel, kommt, lasst uns fröhlich sein«. Die Besucher des »Saustalls« schienen die Choreographie des späten Nachmittags exakt zu kennen, jubelten schon bei den Intros der Stücke, die sie offenbar punktgenau erwarteten, und vermutlich spulte DJ Stoffel Tag für Tag dasselbe Programm ab, die ganze Saison lang. Zwischen den Songs begrüßte er – hörbar immer angetrunkener, seinem Aroma nach zu urteilen auch immer zugekokster – Besucherherden, die mit lächerlichen Sprüchen bedruckte T-Shirts und Skijacken trugen oder Pudelmützen in den Vereinsfarben von Fußballclubs. Nach einer Dreiviertelstunde – es ging auf neunzehn Uhr zu, also Feierabend, weil die Halbpensionisten zum Essenfassen in die Hotels mussten, auch ein Teil der Choreographie – wechselte das Licht, eineSchmusenummer begann, die ich nicht kannte, und plötzlich hielt ich Minka in den Armen, engtanzend wie zuerst vor gefühlten Jahrtausenden – mit Dana, der Polin von der Jugenddelegation, die mir, an die Zementwand des Klubs gelehnt, ihre nassforschende Zunge in den Mund gesteckt hatte.
Beim Abendessen tranken wir weiter, Minka plapperte völlig Minka-untypisch wie ein Staubsaugervertreter, und beim Digestif schlug sie vor, noch in die Sauna zu gehen. Ich zuckte mit den Schultern, befand mich aber in einem Zustand, der kaum mehr vernünftige Entscheidungen zuließ, und taperte ihr hinterher in den einsamen Spa-Bereich des Hotels. Dort sah ich sie zum ersten Mal seit acht Jahren nackt – Minka hatte sich außerordentlich gut gehalten. Ihr Körper war leicht gebräunt, bis auf den sauber konturierten Bereich, der den Umrissen eines Tangas entsprach, und sie war rasiert.
Ich sah verblüfft an mir herunter.
»Oh«, sagte sie, lächelte und zog mich in die Sauna.
D REI
Comment ça va?
Ich wusste es (heute)
»Es ist eine Ehre für uns, Sie in unserem Haus begrüßen zu dürfen«, trällerte die junge, mollige Frau hinter dem Tresen geschäftsmäßig. Ich lächelte ein Martin-Gold-Lächeln und unterschrieb das Anmeldeformular.
Sie kontrollierte den Zettel kurz, nickte. »Dürfte ich Sie um eine Autogrammkarte bitten? Für die Galerie?«
»Gerne.« Derlei trug ich griffbereit in einer Seitentasche meines Koffers mit mir herum. Sie bedankte sich höflich, ich griff nach dem Schlüssel. Einem richtigen Schlüssel mit klobigem Anhänger, keine Transponder-Chipkarte, die dem Hotelcomputer mitteilte, wann ich das Zimmer betrat oder verließ. Ich mochte das und hätte gern richtig gelächelt.
»Moment noch, bitte. Frau Stebener hat darum gebeten, Sie zu sprechen, wenn Sie eintreffen.« Sie drehte sich um, zu einer Tür, die hinter ihr in einen Büroraum führte. »Frau Stebener, Herr Gold ist da!«
Ich seufzte leise. Der Auftritt am gestrigen Abend hatte Kraft gekostet, der Flug zurück nach Berlin sowieso; ich hasste das Fliegen, eine Dauerfolter, die mit dem Einchecken begann und bei der Gepäckausgabe endete. Die enge Zeitplanung hatte verhindert, dass ich einen Abstecher nach Hause hatte machen können, ich war verschwitzt und fühlte mich schmutzig, sehnte mich nach einer Dusche und einem Nickerchen in einem kuschligen Bett, wenigstens einem Hotelbett.
Eine schlanke Mittvierzigerin mit grünen Augen kam durch die Tür. Ihr Haar war anders, etwas länger und offenbar onduliert, ihr Gesicht spiegelte das Alter wider, ohne sie wirklich älter erscheinen zu lassen. Chrissie. Ich öffnete den Mund,aber das Gehirn war noch nicht so weit, ihn etwas Adäquates sagen zu lassen. Nach der telefonischen
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