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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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war ich gut und gerne zwanzig Mal im »Quasimodo« gewesen und in einigen anderen Läden. Was ich dort erlebt hatte, hatte mich beeindruckt. Ich stellte mir vor, selbst auf einer Bühne zu sitzen, auf einem Barhocker, hinter einem Mikrophonständer und mit der Gitarre ohne Namen vor dem Bauch, um Songs zu singen, die ein bisschen wie die von Jackson Browne waren, vielleicht einen Tick poppiger als die alten Sachen und, natürlich, mit deutschen Texten. Tatsächlich versuchte ich mich an eigenen Songs, aber das wusste nicht einmal Karen.
    »Ich habe das Foto bekommen«, sagte sie jetzt, das Thema wechselnd.
    Ich schwieg und wartete auf das, was noch kommen würde. Das Foto, das ich ihr nach langem Drängen geschickt hatte, stammte aus einem Kurzurlaub, den ich mit Mama vor drei Wochen am Timmendorfer Strand verbracht hatte, zwischen zwei Flügen von Berlin nach Hamburg und zurück, fast in Sichtweite des Teils der Ostseeküste, der zur DDR gehörte.Das Bild zeigte mich in einem Strandkorb sitzend, in Badehose und T-Shirt, die leicht bronzefarbenen, tendenziell aber eher geröteten Beine lässig übereinandergeschlagen und mit dieser Idee von einem Lächeln im Gesicht, zu der ich mit Mühe fähig war. Der Wind hatte meine kurzen Haare, die ich inzwischen bräunlich tönte, ganz leicht gezaust, und Mama war es gelungen, genau in dem Moment abzudrücken, als meine Augen im Sonnenlicht noch blauer leuchteten als ohnehin schon.
    »Und?«, fragte ich schließlich.
    Sie räusperte sich. »Ich habe mich erschreckt. Klar, du hast mir gesagt, dass sich etwas geändert hat, aber ich hätte dich echt nicht wiedererkannt. Erst habe ich gedacht, du willst mich veralbern, aber dann …«
    »Die Augen.«
    »Genau.«
    Sie kicherte. »Siehst gut aus! Es ist nicht zu fassen.«
    Ich lachte.
    »Wäre ich nicht mit Jochen verlobt …«
    »Erzähl keinen Quatsch.«
    Sie kicherte wieder. »Wir sehen uns in drei Wochen.« Dann legte sie auf. Ich ging in mein Zimmer und nahm das Foto aus der Nachttischschublade, das sie mir bereits im Mai geschickt hatte.
Ich
hätte sie wiedererkannt. Ihre großen, braunen Augen wirkten auf diesem Porträt noch größer, aber auch ein wenig abgeklärter, vielleicht etwas belustigt, und ich überlegte wie so oft, wen sie wohl angesehen hatte, während dieses Bild aufgenommen worden war. Karens brünette Haare waren deutlich länger als im Sommer 1980, dafür weniger kraus, aber zeitgemäß hochtoupiert, wenn auch erfreulich dezent. Sie war hübsch, so viel stand fest.
    Noch während ich das Bild ansah, klingelte das Telefon abermals. Es war Mike, der mich einlud, mit ihm abends in eineKneipe in Kreuzberg zu gehen, weil dort eine junge Sängerin auftreten würde, die ich mir, wie er meinte, unbedingt anschauen sollte.
    In dieser Nacht lernte ich Minka kennen.

Z WEI
     

Freiheit (1989)
     
    Der Glanz, der vermeintlich damit verbunden ist, auf großen Bühnen vor Publikum zu stehen, relativiert sich deutlich, wenn man die Bereiche
hinter
den Bühnen betritt, die Hinterbühnen-, neudeutsch Backstage-Räume, in denen die Künstler manchmal stundenlang auf ihre Auftritte warten, sich vorbereiten, schlaffe Häppchen von billigen Buffets essen und mit ihrem Lampenfieber kämpfen.
    Ich saß in so einem Raum, ganze zwölf Quadratmeter groß, auf einem verschlissenen Sofa, nippte an Mineralwasser ohne Kohlensäure und beobachtete die Bilder im kleinen, stumm geschalteten Fernseher, der in einer Ecke über dem vibrierenden Siebziger-Jahre-Kühlschrank an der Wand hing.
    Es roch, wie es in allen Räumen riecht, die unregelmäßig benutzt werden und die meiste Zeit über leerstehen, aber dann plötzlich für ein paar Stunden viele Menschen aufnehmen müssen. Ich versuchte, die Wahrnehmung auszublenden.
    Der Aushilfsschlagzeuger, dessen englischen Künstlernamen ich vergessen hatte, schob seine schmutzigen Sockenfüße auf den Tisch und damit ein paar leere Flaschen von sich weg, gleichzeitig lehnte er den Oberkörper zurück und schloss die Augen. Minka stand vor dem verkratzten Spiegel und schminkte sich nach. Außer uns dreien waren noch vier Helfer im Raum, die rauchten, sich bei den Häppchen bedienten und keine besondere Aufgabe zu haben schienen, außerdem der Partner des örtlichen Veranstalters, ein schmächtiger Fünfzigjähriger, der Minka umschwärmte, als könne er dadurch etwas bei ihr erreichen, dann noch zwei Presseleute, die sich miteinander unterhielten und uns nicht die geringste Aufmerksamkeitschenkten

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