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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Plektron schon über den Saiten haltend, und dann sang sie ohne Begleitung. Minka hatte zweifelsohne eine schöne Stimme, aber als sie bei »Blüh im Glanze« angelangtwar, musste sie um eine Oktave absenken, weil es ihre Kapazitäten überfordert hätte. Das Publikum applaudierte anschließend höflich, aber erkennbar irritiert, es gab eine Art Rascheln, weil die wenigen, die zur Hymne aufgestanden waren, auf ihre Plätze zurückrutschten, und dann spielten wir so miserabel wie nie zuvor. Irgendwie stimmte nichts mehr nach diesem Alleingang. Marko spielte hin und wieder deutlich zu schnell oder zu langsam, vermutlich in voller Absicht, Minka vergaß zweimal den Text und wiederholte stattdessen eine Strophe, und auch ich musste mich stark konzentrieren, obwohl ich den Set im Schlaf hätte spielen können. Währenddessen fasste ich den Entschluss, es ihr noch an diesem Abend zu sagen. Jeder Zeitpunkt war so gut oder schlecht wie jeder andere, aber heute wäre Minka ohnehin in so fürchterlicher Stimmung, dass ich die Gelegenheit einfach nutzen musste.
    Wir saßen in einem kleinen Restaurant mit diffuser Ausrichtung; auf der Karte standen Pasta, Gyros und Schweinebraten, aber zu Minkas weiterer Verärgerung nichts Vegetarisches, dafür stand ein Fernseher auf dem Tresen und zeigte die Bilder, die seit zwei Tagen in Endlosschleife auf allen Kanälen liefen. Ostler im KaDeWe, Ostler im Europacenter, Ostler auf dem Ku’damm, Ostler bei McDonald’s, Ostler in langen Schlangen vor Banken und Sparkassen, Ostler, aus Banken oder Sparkassen kommend und mit Hundertmarkscheinen wedelnd, Ostler bei Aldi und in Douglas-Parfümerien, sich gegenseitig mit Eau-de-Cologne-Proben ansprühend. Ich sah nur kurz hin und war satt, ohne einen Happen gegessen zu haben. Natürlich verstand ich sie, denn endlich konnten sie sehen und anfassen, wovon sie geträumt hatten, noch ohne zu verstehen, dass sie den Mut der Demonstranten dadurch auf Levi’s, Sony, Big Macs und Bananen reduzierten. Ich erinnerte mich allerdings auch an jenen Moment am Plattensee, als ich meinen ersten leibhaftigen
Walkman
gesehen hatte.
    Drei – natürlich männliche – Fans begleiteten uns, Herren Ende vierzig, die vor dem Bühneneingang gewartet hatten und jetzt fassungslos im unverhofften Glück badeten, ihren Lieblingsstar leibhaftig bei etwas so Perfidem wie Essen beobachten zu dürfen (zwei Jahrzehnte später würden stundenlange Formate im Privatfernsehen von diesem Motiv leben). Minka stocherte in welkem Blattsalat mit faulig riechendem Schafskäse. Ich schnitt mein wüstentrockenes paniertes Schweineschnitzel in Stücke, ließ es ansonsten unberührt auf dem Teller liegen und knabberte lustlos an ebenso trockenen Pommes frites.
    Der Schlagzeuger sah kurz die Fans an und sagte dann zu Minka: »Wenn du sowieso tust, wozu du Lust hast, musst du das nicht vorher mit uns abstimmen.«
    Marko nickte vorsichtig und beobachtete unsere Sängerin. Minka zwinkerte, legte den Kopf in den Nacken und stöhnte.
    »Ich werde aufhören. Dies ist meine letzte Tour mit dir«, erklärte ich in ihr Schweigen.
    Einer der Fans, ein für sein Alter gut aussehender Typ, den ich für einen Banker hielt, schnaufte vor Überraschung laut – immerhin wurde er soeben Zeuge einer Sensation, wenn auch einer sehr kleinen, die vielleicht noch für den Kasseler Stadtanzeiger – falls es einen gab – reichte, aber sicher nicht für den
Express
oder die BILD. Minka blickte ihn kurz an und dann zu mir. Ihre dunklen Augen ohne erkennbare Irisfärbung funkelten mich an, und dann lächelte sie.
    »Wie du willst. Wir machen das jetzt … äh.« Sie zog die Stirn kraus, aber sie schaffte es nicht ganz, das Gekünstelte an dieser mimischen Geste zu kaschieren.
    »Vier Jahre«, sagte ich und wusste ganz genau, dass sie Spielchen spielte.
    »Echt? Es kommt mir länger vor.«
    »Mir auch.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    Der Kellner, der vielleicht Jugoslawe war, möglicherweise Italiener, gar Grieche, trat an unseren Tisch und fragte, ob das Essen geschmeckt hätte.
    Der arme Kerl.
     
    Als ich eine Stunde später mit ihr allein in der Bar des Viersternehotels saß, das zwei von diesen Sternen nicht verdiente, hatten sich die Wogen ein wenig geglättet. Der vielleicht eins fünfundsechzig große Mann mit dem Schnauzer, dem undefinierbaren Akzent, dem am Hals speckigen Hemd und der auf unmögliche Art gebügelten schwarzen Hose hatte die volle Ladung ihres Zorns abbekommen, gesteigert durch die Art,

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