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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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einstieg, fingen sie schnell damit an, sich gegenseitig zu überbieten.
    Mein Telefon klingelte an einem Freitagmorgen im Juni. Minkas »Gold« hatte gerade Platz drei der deutschen Albumcharts erreicht. Es war ihre erste Platte, die auch von der anspruchsvollen Presse gefeiert wurde.
    »Wir unterschreiben bei PBC«, sagte György, ohne meine Begrüßung abzuwarten. Das war eine sehr gute Nachricht – PBC gehörte zu den vier Major Labels, die deutsche Musiker produzierten. Dann nannte er die Garantiesumme. Ich fiel beinahe aus dem Sessel.
    »Wie hast du das gemacht? Erpressung?«
    Er lachte. »Nein, das hast du gemacht. Sie mögen dich. Martin, mein lieber Martin, jetzt müssen wir den Leitfisch nur noch in die richtige Richtung schubsen.«
    Noch am selben Tag frühnachmittags erreichte mich ein zweiter bemerkenswerter Anruf.
    »Sie werden sich kaum an mich erinnern«, sagte eine Frau, eine alte Frau, wie ich meinte, und auch sie fuhr fort, ohne meine Erwiderung abzuwarten. »Ich bin die Mutter von Arndt, Ihrem ehemaligen Mitschüler.«
    »Oh, ja«, sagte ich und forschte in meinem Gedächtnis nach dem Nachnamen von Arndt, aber er fiel mir nicht ein. »Wie geht es Ihnen? Wie geht es Ihrem Sohn?«
    »Schlecht«, sagte sie knapp und pausierte dann für eine halbe Minute. Ich lauschte auf ihren schweren, angestrengtenAtem. »Mir geht es schlecht. Und Arndt ist tot. Er ist vor einem Monat gestorben, an Leukämie.«
    Ich hätte fast »Oh« gesagt oder etwas wie »Scheiße«, konnte mich aber gerade noch beherrschen. »Das tut mir sehr leid«, sagte ich schließlich und meinte es auch so. Die Nachricht ging mir, ehrlich gesagt, zwar nicht sehr nahe, aber ich nahm an, dass dies noch geschehen würde. Die menschliche Psyche ist ein äußerst merkwürdiger Mechanismus.
    »Er hatte keine Freunde, das weiß ich. Aber er wollte, dass Sie etwas von ihm bekommen.«
    Jetzt sagte ich doch: »Oh.« Es fiel mir schwer, von der Euphorie des Vormittags auf Anteilnahme umzuschalten. Es fehlte nicht viel, und ich hätte der Mutter meines toten Mitschülers erzählt, dass ich einen ordentlich dotierten Plattenvertrag in der Tasche hatte.
    »Seine Filme und seine Ausrüstung. Sie haben mit ihm damals daran gearbeitet. Er wollte, dass Sie das nach seinem Tod bekommen.«
     
    Ich besuchte sie am nächsten Morgen, einem lauen, sonnigen Junisamstag. Arndts Mutter wohnte inzwischen in der Knesebeckstraße, einer Seitenstraße des Kurfürstendamms, der nach wie vor, seit inzwischen acht Monaten, von Ostlern okkupiert wurde, die staunend vor Schaufensterscheiben standen und Begrüßungsgelder, Ersparnisse oder Geldgeschenke durchrechneten. Nur ein paar Jahre später würde der Ku’damm um seine Existenz kämpfen, weil Westler
und
Ostler ihre Nasen nur noch an Schaufensterscheiben in Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg plattdrückten.
    Ihre Wohnung war hell, roch aber nach alter Frau, Katzenkot, Kochwurst und sterbenden Blattpflanzen – erstaunlicherweise aber fehlten Küchengerüche. Frau Bühler, wie mir inzwischen wieder eingefallen war, ging essen.
    Sie begrüßte mich freundlich, aber ohne jede Begeisterung und führte mich in ihr Wohnzimmer. Auf der Fensterbank räkelte sich eine riesige, langfellige Katze in der Vormittagssonne. Der weiß gestrichene Raum war spärlich möbliert. Es gab ein Vertiko, einen flachen Glas-Couchtisch und drei Ledersessel. Neben dem Tischchen stand eine Umzugskiste. Die Längswand wurde von einem Miró-Druck beherrscht. Für eine Frau in den Sechzigern war es hier fast avantgardistisch.
    Wir setzten uns.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte ich.
    Sie nickte. »Mir auch.« Sie musterte mich. »Ich kann mich nicht an Sie erinnern, aber Arndt hatte wenig Besuch.«
    »Ich sah damals anders aus. Ich hatte einen Unfall. Und ich habe abgenommen. Ich war oft in Ihrer Wohnung in der … äh.«
    »Langenscheidtstraße.«
    »Richtig.«
    »Darf ich fragen, wie … es passiert ist?« Ich wollte das eigentlich überhaupt nicht wissen, aber ich spürte auch, dass diese alte, traurige Frau darüber sprechen musste. So, wie ich während der vergangenen Monate über Sonja hatte sprechen müssen, nicht nur mit ihr. Mit Karen. Mit Mike. Sogar mit György. Nur nicht mit meinen Eltern.
    Sie nickte wieder und sah zum Fenster. »Schnell. Sehr schnell«, erzählte sie in Richtung Katze. »Im März ist Arndti im Büro umgekippt. Erst hielten es alle für eine Kreislaufsache, aber sein Kreislauf war vollkommen in Ordnung. Er wurde

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