Sommerhit: Roman (German Edition)
und helfen erst recht nicht. Sie versuchte es dennoch, aber es war aussichtslos. Ihr Schänder quittierte das mit großer Brutalität, die erst wieder nachließ, als Sonja sich fügte und sich auch nicht mehr wehrte, wenn er zu ihr ins Bett stieg.
Im Frühjahr 1982 wurde der Mann, dessen Namen mir Sonja nicht verraten wollte, Leiter eines FDGB-Heims an der Ostseeküste, aber auch darüber beließ sie es bei Andeutungen. Unweit der eigentlichen Einrichtung befand sich eine weitere für leitende Funktionäre. Dort, nahm Sonja wenigstens an, wurde zwei Jahre später Michael gezeugt.
Sie unterbrach den Bericht. »Willst du das wirklich hören?«
»Ich weiß nicht. Willst du es denn erzählen?«
Sonja sah zu Michael, der neben seiner Blechautobahn auf dem Fußboden eingeschlafen war.
»Vielleicht hilft es mir.«
»Vielleicht hilft es auch, unseren Eltern …«
»Nein!«, unterbrach sie. Michael zuckte im Schlaf.
»Papa ist zurückgekehrt, deinetwegen.«
Sie nickte langsam. »Ich weiß. Jürgen hat mir das erzählt, als er 1986 nach …«, sie zwinkerte traurig, »als er mich besuchen kam. Er hat mich auch genötigt, diesen Brief zu schreiben.«
»Genötigt?«
»Ich wollte das nicht. Ich wollte nie wieder von ihnen hören, und ich wollte auch nicht, dass sie je wieder von mir hörten – nur um dich tat es mir leid, vielleicht habe ich mich deshalb doch überzeugen lassen. Und irgendwie war es Jürgen so wichtig, dass er nicht aufhörte, mich zu bedrängen. Er hat mir sogar den Text diktiert. Ich hätte etwas ganz anderes geschrieben. Und auch nur dir, nicht …
ihnen
.«
»Sie haben damals die vernünftigste Entscheidung getroffen, die man treffen konnte, sie haben ihre Ehe …«
»Nein! Verstehst du nicht, all das war purer Egoismus! Sie hätten uns
vorher
fragen müssen, sie hätten uns in ihre Pläne einweihen müssen, uns vor die Alternativen stellen. Sie haben über unsere Leben entschieden, leichthin, und das nur, weil Klaus-Peter die DDR gehasst hat. Sie haben all das in Kauf genommen, was passiert ist, jeden einzelnen Tag davon. Sehenden Auges. Es ging nicht darum, welche Farbe der neue Trabi haben würde. Sondern um unsere Zukunft, bis zum bitteren Ende. Das kann ich ihnen nicht verzeihen.«
Ich wollte etwas erwidern, aber jede mögliche Antwort kam mir schrecklich dumm vor.
»Ich weiß, dass er im Knast war. Ich nehme an, dass auch sie gelitten hat. Sei mir nicht böse, aber ich empfinde nicht für einen halben Pfennig Mitleid. Nur für dich. Sonst für niemanden. Sie haben mein Leben zerstört.«
»Verstehe«, sagte ich lahm. »Erzähl weiter.«
In den folgenden Jahren hatte meine Schwester auch das letzte Vertrauen in die Menschen verloren. Die Frau ihres Pflegevaters starb, und als sie bemerkte, dass ihr Schänder mehr und mehr mit aufkommender Impotenz zu kämpfen hatte, flackerte so etwas wie Hoffnung bei Sonja auf. Aber ihr eigentlicher Leidensweg lag noch vor ihr.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie im Ferienheim gearbeitet, als Küchenhilfe. Sie hatte ein paar zaghafte Versuche unternommen, sich anderen im Kollektiv anzuvertrauen, aber der Arm ihres Peinigers reichte weit. Inzwischen zwanzigjährig, wurde Sonja auf seinen Willen hin Bardame im nahe gelegenen, inoffiziellen Funktionärsclub, einer nobel ausgestatteten, gut abgeschotteten Villa mit geräumiger Bar im Untergeschoss, wo sie fortan Drinks servierte und auf den Schößen der Männer zu sitzen hatte, die volkseigene Betriebe leiteten.Aber auch Künstler und Fernsehschaffende waren dort zu Gast. Mehr als einmal sah sie bekannte Gesichter, und sie sah auch weit mehr als nur diese.
Hier wurden nächtelang Orgien gefeiert, bei denen Sonja und wechselnde, zumeist osteuropäische »Kolleginnen« im Mittelpunkt standen. Sonja glaubte allerdings, die Einzige von ihnen zu sein, die das gegen den eigenen Willen tat. Unbeschreibliche Dinge musste sie über sich ergehen lassen, selbst noch im siebten, achten Monat ihrer Schwangerschaft. Ihr zweiter und letzter Selbstmordversuch fiel in diese Zeit, nach einer dieser Nächte, in der ein Mann seinen Schäferhund mit in die Villa gebracht hatte.
Ich seufzte laut, Michael erwachte.
»Ist der Mann traurig?«, fragte er schlaftrunken.
»Schon gut, mein Liebling«, sagte Sonja, seit Stunden die erste emotionale Regung außer Bitterkeit zeigend, nahm meinen Neffen vom Boden auf und brachte ihn in das kleine Schlafzimmer.
Nach seiner Geburt war sie dann zurück ins Ferienheim geschickt worden.
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