Sommerhit: Roman (German Edition)
Melodie darunter, die auch bei schmaler Instrumentierung gut funktionieren würde, und nahm das Stück zu Hause in meinem kleinen Studio auf. Schlagzeug per Sequencer, etwas Gitarre, ein synthetisches Akkordeon jeweils unter der zweiten und vierten Zeile des Refrains. Es gab kaum ein weniger
cooles
Instrument als ein Akkordeon, höchstens noch die Blockflöte. Das i-Tüpfelchen bestand aus dem Quietschen eines Cellos, das ich unter das »Cool« im Refrain legte – dieses Wort sang ich um eine halbe Oktave nach oben versetzt.
Das Ganze war eingängig, leicht zu merken, ein wenig karnevalesk wegen des stampfenden Rhythmus und des Chors (aus mir selbst bestehend), den ich hinter den Refrain gemischt hatte, insgesamt äußerst untypisch für mich – und sowieso nur ein Spaß. Manchmal war es einfach schön, die Möglichkeiten zu nutzen, die ich inzwischen hatte, und sei es auch nur, um ein Ereignis wie die Begegnung mit
Technopinq
zu verarbeiten. Und, klar, ein Stück Jugend.
Aber György fand es toll. Aufgeregt hüpfte er durch mein Wohnzimmer.
»Ich sehe viele Fische, die einem einzelnen hinterherschwimmen. Sehr, sehr viele Fische.«
»Und ich höre Gegröle in einem Bierzelt. Bitte, György, ich schätze dich wirklich, aber diese Nummer ist Mist. Außerdem ist sie völlig untypisch für Martin Gold. Vor allem aber ist sie Mist.«
Er sah mich skeptisch an. »Du könntest alles verdoppeln, was du bisher gemacht hast. Vervier-, verfünffachen. Mit diesem Mist. Es ist keiner.«
»Ich habe doch schon so viel erreicht.«
»Weißt du, dass es ein ganzes Dorf gibt, das heute noch von den Einnahmen aus »Live is life« lebt, dieser saublöden Schunkelnummer von Opus? Und die ist vierzehn Jahre alt.«
»Großartig. Ich muss aber kein Dorf ernähren. Und ich will dieses Stück nicht veröffentlichen. Es ist nur ein Scherz.«
»Nein, es ist mehr als das. Hör dir selber zu! Du reißt einem Paradigma die Beine weg, das mehr als eine Generation geprägt hat.« Er ging zur Anlage, tippte herum, das Intro zu »Cool sein« erklang erneut. Ich war kein großer Tänzer, Tanz gehörte nicht zu den Ausdrucksformen, die mir je näher als auf Armlänge gekommen waren, aber in meinen Beinen zuckte es. Diese Nummer war tatsächlich eingängig.
György drehte sich im Takt der Musik zu mir um und zog die Augenbrauen hoch.
»Also warum nicht mehr daraus machen?«
»Das ist für mich das Grauen, György, wirklich. Ich wollte nie ein Stück, das völlig anders als alle anderen ist. Bitte. Wir können meinetwegen diese dusslige Reggae-Platte machen, noch ein Livealbum, sogar irgendwas für Weihnachten – aber nicht das hier.«
Er zwinkerte. Zum ersten Mal, seit wir uns kannten und ich die Hürde überwunden hatte, die Zusammenarbeit mit einem ehemaligen Geheimdienstler zu erwägen, der, zugegeben,mehr von Musik verstand als die gesamte Chefetage von PBC, sah er mich ernsthaft böse an. Missmutig. Beleidigt.
»Auf diese Nummer warte ich seit fast zehn Jahren«, sagte er.
»Du hast in dieser Zeit ziemlich viel Geld mit mir verdient«, gab ich barsch zurück, bereute es aber umgehend.
»Und umgekehrt«, erklärte er, jetzt wieder lächelnd. Er hob die Hände. »Aber das ist okay. Solche Gespräche führen alle Künstler irgendwann mit ihren Produzenten, Agenten und Mäzenen. Man denkt, man hätte all das auch alleine erreicht …«
»Das ist es nicht«, unterbrach ich. »Erzähl nicht so einen gequirlten Murks. Ich weiß ganz genau, was wir einander bedeuten. Aber so ein Stück zu veröffentlichen …«
»Kann deine Rente und die deiner Kinder und Kindeskinder sein.«
»Ich habe keine Kinder.«
Er lachte. »Wer weiß?«
»Bitte, György.«
»Bitte,
Martin
. Gib es mir. Lass mich das Stück PBC vorspielen. Ich verspreche dir, du darfst immer noch nein sagen, wenn etwas geschieht.«
Mein Fehler war, ihm schließlich nicht die Version zu geben, die ich auf die CD gebrannt hatte, sondern die Acht-Spur-Aufnahme, also das Material, das Gesangsstimme, Chor und Begleitung getrennt enthielt.
Großer Erfolg kommt wie eine Grippe. Nicht plötzlich, von einem Tag auf den anderen, sondern gemächlich. Erst fühlt man sich ein wenig oll, wird träge, nimmt die Umgebung wie durch Watte wahr, hat das Gefühl, die Welt wäre seltsam verlangsamt, und dann, nach ein paar Tagen, ist die Krankheit voll da. Grippe kommt sieben Tage, bleibt sieben Tage, geht siebenTage. Zumindest der erste Teil gilt auch für plötzlichen, großen Erfolg als
Weitere Kostenlose Bücher