Sommerhit: Roman (German Edition)
und mir davon erzählte.
In meinem direkten Umfeld änderte sich zunächst wenig, obwohl im Video mein sechs Jahre altes Porträt – das Coverbild von »Blick in den Spiegel« – im Hintergrund hing, an einer Plakatwand. Mein Nachbar, ein Mann in meinem Alter, der die Wohnung unter meinem weiträumigen Dachgeschoss in der Akazienstraße bewohnte, sah mich plötzlich merkwürdig lächelnd an, als wir uns im Treppenhaus trafen. Ich hatte mit ihm bisher nur ein paar Begrüßungsfloskeln gewechselt; Nachbarn waren mir seit Herrn Leder suspekt, das hatte ich nie aus meinem Kopf bekommen. Dann drehte sich der junge Mann um und rannte zurück in seine Wohnung. Zwanzig Minuten später klingelte es Sturm, Fernsehleute. Das war Anfang Juli, also Wochen nach dem Release. Keine Ahnung, warum das dem Mann nicht früher eingefallen war, aber vielleichthatte er an diesem Tag erstmals in seinem Leben MTV eingeschaltet. Ich habe ihn nie gefragt.
Anschließend ging es Schlag auf Schlag. Die BILD brachte Anfang August auf Seite 3, an genau der Stelle, an der fünfzehn Jahre zuvor mein Klassenfoto erschienen war, ein Bild von mir und daneben das irgendeiner Fernsehtante mit metallisch-blonden Haaren, die ich im Leben noch nicht getroffen hatte. »Gold und Platin?«, lautete die Überschrift – das erste Verhältnis mit einer Prominenten, das man mir andichtete, und längst nicht das letzte. Keiner von uns beiden dementierte.
Ich begleitete die Postproduktion von »Goldene Zeiten« und versuchte, mich aus all dem möglichst auszuklinken, aber das ging nicht. Die Plattenfirma pochte darauf, dass ich Promo-Termine wahrzunehmen hätte, György quatschte stundenlang auf mich ein, und sogar Mike meinte, dass ich da jetzt durchmüsste. Mein neues Album versank beinahe im Trubel, den »Cool sein« auslöste, vor allem, weil es das Stück nicht enthielt, und ich taumelte von Pressetermin zu Radiotermin zu Fernsehtermin, wo ich immer dasselbe sagte. »Es ist nur ein kleines Lied. Das, was es sagen soll, sagt es. Mehr fällt mir dazu ehrlich nicht ein. Aber wir können gern über meine neue Platte sprechen.« Der Musiker, der niemals lächelt, wurde um den Nimbus des zurückhaltenden Stars ergänzt, was sich dadurch relativierte, dass gleich im Anschluss oder vorher das polternde, eingängige Lied gespielt wurde.
Am Jahresanfang 1999 verdeutlichten Zahlen, was inzwischen geschehen war. Es war nicht so, dass die Plattenfirma ständig Schecks schickte oder andauernd Sekretärinnen anrufen ließ, um mir meine Tantiemeneinnahmen vorzulesen. All das geschah mit Verzögerung, Platten wurden auch remittiert, weil die Händler auf Kommission bestellen durften. Die Companys saßen überhaupt gerne eine Weile auf dem Geld, jedenfallsdem erstaunlich geringen Anteil davon, den die Künstler bekamen, in den entsprechenden Fällen außerdem die Texter und Komponisten. Deshalb war dieser Kontoauszug eine ziemliche Überraschung. Ich hatte vorher schon gut verdient, aber mit einem Mal wurde es unverhältnismäßig, wie ich fand. Immerhin, es lenkte davon ab, dass Leute meinen Müll durchsuchten, mir auf der Straße schreiend hinterherrannten, mich in Zügen und Flugzeugen nicht in Ruhe ließen – oder, noch während ich meine Jacke anzog, meinen Restauranttisch aufsuchten, um zu sehen, was der Popstar gespeist hatte. Es war keine Ausnahme, dass jemand versuchte, die Quittung zu ergattern. Ich musste mich daran gewöhnen, immer irgendwo das Blitzen eines Fotoapparats wahrzunehmen, und sehr, sehr viele Menschen wollten plötzlich mit mir befreundet sein. Ich erhielt persönliche, private,
vertrauliche
Einladungen in Chalets, Nobelrestaurants, Landhäuser, Hotels, Fincas und Penthäuser, von Personen, die ich bisher nur im Fernsehen angestarrt hatte, meistens peinlich berührt. Man buhlte darum, Falk Lutter a.k.a. Martin Gold in der Clique zu haben, den dicken Ostler, den Loser, den Außenseiter – meine Kindheitswelt wurde auf den Kopf gestellt. Ich nahm keine einzige Einladung an.
Ich hoffte vielmehr darauf, dass es bald wieder vorbei wäre, dass mich endlich irgendwer mit dem Etikett »One-Hit-Wonder« versähe und ich in vergleichsweiser Ruhe meiner eigentlichen Beschäftigung würde nachgehen können: vernünftige Musik zu machen. Wahrscheinlich wäre das auch geschehen, wenn es nach den Hörern und Käufern gegangen wäre. »Cool sein« verließ die Charts vorläufig im Frühling 1999 – stieg allerdings während der kommenden Jahre immer
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