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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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mal wieder ein, alleine fünf Mal als Coverversion. Jedenfalls summten und sangen die Leute eine Saison lang zu diesem Stück mit – oder sie tanzten den unseligen Clubtanz –, um sich dann auf etwasanderes zu konzentrieren, und wahrscheinlich interessierte ich sie als Person überhaupt nicht, aber die Presse war da hartnäckiger. Wenn ich all das getan und gesagt hätte, was man über mich – nicht nur in der
Yellow Press
– schrieb, unermüdlich und unaufhörlich, hätte ich zu diesem Punkt schon über neunzig Jahre alt sein müssen, sonst hätte die Lebenszeit nicht ausgereicht für all diesen Unsinn.
     
    Im April 1999 sollte die Tour zu »Goldene Zeiten« beginnen. Gebucht waren mittelgroße Hallen – ein-, zweitausend Zuschauer – in vierzig kleineren und etwas größeren Städten, dazu Köln, Hamburg, München, Stuttgart und, natürlich zum Abschluss, Berlin. Aber schon im Februar teilte mir György die ersten Umbuchungen mit; die Auftritte wurden in größere Hallen verlegt. Einige Shows waren bereits ausverkauft. Für Köln und Stuttgart waren Zusatztermine im Gespräch. Ich ahnte Böses und erklärte allen Beteiligten mehrmals, dass ich »Cool sein« auf dieser Tour
nicht
spielen würde. Ich bat sogar darum, es auf die Plakate zu drucken, was natürlich nicht geschah, wie man mir auch nicht abkaufte, dass ich den Riesenhit nicht spielen würde. Während im Hintergrund die Fetzen flogen, absolvierte ich weiter hochnotpeinliche Auftritte für das Fernsehen. Es gab kein Livearrangement zum Hit, weshalb ich bei solchen Gelegenheiten alleine mit der Gitarre dasaß – manchmal setzten sie einen Akkordeonspieler oder sogar eine Cellistin dazu – und eine Halbplayback-Darbietung von mir gab. Viele Produzenten und Regisseure wollten mich in letzter Minute davon überzeugen, ganz auf Liveanteile zu verzichten, im eigenen und in ihrem Interesse: Live war riskanter. Der Ton stimmte nie, vor allem stimmte er nie mit dem Original überein, man musste häufiger proben, und bei Sendungen, die nicht vorproduziert wurden, trieb schon der Gedanke daran allen Beteiligten den Schweiß auf die Stirn.Ich gab zurück, dass ich eher eine Tasse Magma trinken würde, als mich hinter ein Mikrophon zu setzen, die Lippen zu bewegen und so zu tun, als würde die erstaunlicherweise exakt wie die Studioaufnahme klingende Musik in diesem Augenblick entstehen. Halbplayback war schon widerwärtig genug. Vollplayback war nichts als eine Komplettverarsche. Trotzdem taten es nicht wenige Kollegen, sogar auf Tour. Als Besucher hätte ich mein Eintrittsgeld zurückverlangt, notfalls sogar eingeklagt. Inzwischen lohnte es sich, auf die Tickets zu schauen und darüber nachzudenken, warum Wendungen wie »live in concert« oder nur das Wort »Konzert« fehlten.
     
    »Du willst es wirklich nicht spielen?«, fragte Mike zum tausendsten Mal – aber erstmals an diesem Abend – und sah mich besorgt an. Wir teilten eine Garderobe, immerhin gab es die hier.
    Ich nickte.
    »Die Hälfte der Leute sind nur wegen dieses Songs hier.« Der Saal war gefüllt, und irgendwie meinte ich, sogar hier hinten zu spüren, dass etwas anders war als sonst. Da draußen saß – bzw. stand, wir bespielten unbestuhlte Hallen – nicht mein Publikum. Jedenfalls nicht nur.
    »Ich weiß«, gab ich zurück. »Und ich finde das schade. Für sie vor allem, aber auch für uns.«
    Während der Tour zu »Blick in den Spiegel« hatte es in Bamberg oder Bayreuth einen Moment gegeben, kurz nach »Ehrlich«, in dem ich das Gefühl hatte, der gesamte Saal einschließlich der Musiker auf der Bühne würde dasselbe denken und spüren. Das war eine fantastische Situation, die sich anschließend häufiger wiederholte – ich lernte, darauf zu achten, antizipierte sie, spielte damit. Es war anders als der rührende Gesang ausschließlich der Frauenstimmen zu »Bei dir«, einem Stück, das von einer Fernbeziehung handelte. Die zweite Wiederholungdes Refrains ließ ich von den Damen im Saal singen, im Chor, ohne Begleitung von der Bühne – eine echte Geduldsprobe, die sich aber immer lohnte. So oder ähnlich muss die »Loreley« funktioniert haben: Gänsehaut pur, auch beim zwanzigsten Mal.
    All das würde hier und heute nicht passieren.
    Es begann schon damit, dass sie mitklatschten, was mich fast aus dem Takt brachte, denn
sie
hielten ihn natürlich nicht ein. Der Zwischenapplaus war deutlich aggressiver, es wurde gejohlt, gepfiffen, gejauchzt – die ersten Rufe erklangen, die das

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