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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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an einen Steg zu manövrieren, auch wenn das noch immer ein harter Kampf war. Das große Boot benötigte eigentlich drei Mann Besatzung, meist aber war ich alleine unterwegs.
    »Schleuse!«, rief Sonja vom Führerstand. Michael sprang auf und verschwand Richtung Heck, Marcus sah mich erwartungsvoll an.
    »Du kannst die Bugleine übernehmen. Aber sei vorsichtig. Nie mit einem Bein …«
    »Nie mit einem Bein auf dem Boot und einem an Land, ich weiß«, unterbrach er grinsend. »Ich bin ja nicht doof.«
    »Hat auch niemand behauptet.«
    »Mama sagt das manchmal.«
    »Das meint sie nicht so.«
    Er zwinkerte mir zu, ging zum Bug, löste die Kette an der Reling und hakte sie sorgfältig ein, nahm die Leine und richtete seinen Blick auf die Schleuseneinfahrt. Es war ein sehr warmer Junisamstag, das Thermometer zeigte achtundzwanzig Grad, vor zwei Tagen waren es über dreißig gewesen, die Wassertemperatur reichte schon zum Baden. Aber es war noch zu früh für die Urlauberhorden; uns folgte lediglich ein kleines Kajütboot.
    »Da ist Papa!«, rief Marcus.
    Mike stand am unbesetzten Schleusenhäuschen, die Schleuse Zaren funktionierte automatisch. Zwischen Mike und Sonjahatte es noch an jenem Abend in der »Alten Wäscherei« gefunkt, und zwar so hell, dass es die anderen fast geblendet hätte. Neben ihm hob jetzt György die Hand, um uns zuzuwinken. Ich winkte ihm ebenfalls zu, Sonja betätigte die Schiffssirene.
    »Deinetwegen verliere ich noch meinen Bootsführerschein«, murrte ich kurz, aber verbunden mit dem Versuch eines Lächelns in ihre Richtung.
    »Dann kaufst du dir eben einen neuen. Geld spielt doch keine Rolle, oder?«
     
    Im Licht des Sonnenuntergangs erreichten wir den Lankensee, ein kleines Gewässer, das nur von Wald umgeben war. Marcus legte den Buganker, von Michael angeleitet, und György mühte sich kurz darauf am anderen Ende des Schiffes damit ab, den Heckanker weit genug auszuwerfen. Er musste inzwischen über sechzig sein – Györgys genaues Alter kannte ich nicht, er feierte seine Geburtstage nie.
    Michael brutzelte in der Kombüse Steaks und garte Ofenkartoffeln – er war gelernter Koch und würde bald sein eigenes Restaurant auf Usedom eröffnen, mit meiner Unterstützung –, Sonja und Mike saßen engumschlungen auf dem Vorschiff und starrten in die schwindende Sonne, Marcus rannte mit meiner Spiegelreflexkamera kreuz und quer übers Deck und schoss lauter Fotos, die ich wahrscheinlich längst in einer Kiste in meiner Wohnung hatte. György und ich saßen auf der kleinen Heckterrasse und prosteten uns mit einem billigen Rotwein zu, der herrlich intensiv nach Trauben, Holz, Erdbeeren und Zucker duftete. Von den Geräuschen, die aus der Kombüse kamen, und mal von Marcus’ Herumgerenne abgesehen, war es fast völlig still. In der Ferne bellte ein Hund zwei Mal, ein roter Milan flog in einer weiten Kurve über das nördliche Seeufer, ein Haubentaucherjunges piepste. DieSchönheit dieser Landschaft brachte mich immer wieder ins Schwärmen, obwohl dies sicher mein fünfzigster Aufenthalt auf diesem See war. Manchmal ankerte ich vier, fünf Tage am Stück hier oder auf einem der vielen anderen kleinen Gewässer zwischen Müritz und Berlin, auf denen das möglich war.
    »Es ist schön, dass wir noch Freunde sind«, sagte György und prostete mir zu. »Das wollte ich mal gesagt haben. Du warst für mich nie nur ein Klient.«
    »Du für mich auch nie nur ein Agent. Aber ich hatte keine andere Wahl.«
    Er deutete ein Nicken an, doch seine Augen verrieten, dass er anders darüber dachte.
    Ich vermisste es. Schmerzlich. Es war wie eine Amputation. Dass ich mir selbst die Möglichkeit genommen hatte, vor Publikum zu singen, Stücke einzuspielen, ließ mich nach wie vor nicht los. Aufnahmen machte ich immer noch, in meinem Studio, aber das war mehr eine
Beschäftigung
. Ich dachte nach dem Aufstehen daran und vor dem Zubettgehen. Die eigentlich wohltuende Einsamkeit auf dem Boot verstärkte es manchmal. Ich träumte von den Auftritten, hörte mich im Schlaf selbst singen, erwachte und wähnte mich in einem der vielen Hotelzimmer, in denen ich Nächte verbracht hatte. Als im Jahr 2000 die sogenannte »Best Of«-Kompilation »Gold für alle« erschienen war, natürlich mit »Cool sein« als erstem Stück, hatte ich die heroische, emotionale Entscheidung noch für gut befunden. Inzwischen war ich mir da nicht mehr so sicher. Wer seinen Lebenstraum aufgibt, obwohl er ihn leben
könnte
, ist ein ziemlicher

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