Sommerhit: Roman (German Edition)
Refrain die Hände vor der Brust. Immer noch. Acht Jahre danach.
»Ich will mir nicht den Hals brechen«, sagte sie und nippte an ihrer Weißweinschorle.
»Der Skilehrer wird schon vorsichtig mit dir sein.«
»Wann ist Soundcheck?«
Ich sah auf die Uhr. Es ging auf Mittag zu, der Auftritt war für sechzehn Uhr angesetzt, würde aber wahrscheinlich frühstens um fünf beginnen.
»Um drei.«
Sie nickte. »Das ist wann?«
»In drei Stunden.«
Minka zog die Stirn kraus. »Dann ist es … zwölf. Richtig? Verdammt, mein Kurs fängt an.«
Sie sprang auf und stapfte aus der Hütte, so wie Leute das tun, die zum ersten Mal Skischuhe tragen. Laut, polternd, unendlich langsam, immer kurz vor dem Stolpern. Ich lächelte gedanklich, nahm den letzten Bissen von meinem Germknödel und spülte ihn mit schlecht gezapftem österreichischen Bier hinunter.
Es war herrlich kalt draußen, das Eis knirschte, die Sonne schien, der Himmel strahlte postkartenblau. Ohne die vielen tausend Ballermänner, die sich an den Dutzenden Bars die Hirne wegsoffen, um nachher, gegen vier, unseren Auftritt im »Saustall« zu feiern, weiterzusaufen, zu tanzen, alles anzubaggern, was halbwegs begattungsfortsatzkompatibel war, wäre es … na ja: vielleicht nicht beschaulich, aber auf skurrile Art schön. Ich stieg in meine Skier, fädelte meine Handgelenke in die Schlaufen der Stöcke und atmete tief durch. Es roch nach Grillkohle, überhitztem und überwürztem Glühwein, viel Rauch, jeder Menge Schweiß, Sex, hochdosierten Parfüms, Skiwachs, Schnäpsen, Imprägniersprays, dem harzigen Öl der Skilifte, altem Schnee, saurem Bier, Erde und vielem mehr – der Duft der Berge und Wälder war kaum noch als Aroma zu ahnen. Und trotzdem roch es irgendwie gut. Die Menschen, die mich umgaben, rotgesichtige Trinker, überschminkte Mädchen, die vielleicht keine Mädchen mehr waren, Familien mit verwirrt dreinschauenden Kleinkindern, ältere Leute in auf jugendlich getrimmten Klamotten, die extrem coolen Skilehrer mit ihren Sonnenbrillen und den Einheitsanzügen, die echten Sportler mit ihren Outfits von vor drei, fünf, zehn Jahren – es war ein wenig wie in den Achtzigern, zu Beginn meiner Schulzeit im Westen, als ich hatte feststellen müssen, dass es noch eine andere Form von Uniformität gab als die mir bis zu diesem Zeitpunkt geläufige. Es existierten viele Ähnlichkeiten, aber in gesteigerter Weise, ohne Ausweg: Auch meineKleidung – sogar die Sonnenbrille – war von Markenlogos übersät, und meine Skier quollen von sinnfreien Sprüchen über, etwa »XTD Wood Core« – »XTD« stand offenbar für »extended« –, möglicherweise gab es also einen weniger »erweiterten« Holzkern, in einer Billigfassung der Tausend-Euro-Bretter.
Der »Saustall« fasste achthundert Gäste. Nachdem ich von einem betont lässigen Türsteher hineingewinkt worden war, der betont nachlässig geprüft hatte, ob ich tatsächlich der war, der ich angab zu sein, betrat ich die menschenleere Après-Ski-Bar, in der in etwas mehr als einer Stunde der Wahnsinn wüten würde. Neben der Tür hing ein Schild: »Für Spaßgarantie bitte Gehirne an der Garderobe abgeben.« Ich nickte zur Bestätigung vor mich hin. Es stank unfassbar in diesem Laden, ähnlich wie in den Backstage-Räumen der kleineren Hallen, aber intensiver und gleichzeitig … geschäftsmäßiger. Hier, sagte die olfaktorische Aura mehr als deutlich, wurde gesoffen, gevögelt, gefeiert, geraucht – und sonst nichts.
»Gold, alte Hütte«, donnerte die kehlkopfkrebsige Stimme eines Mannes, der vielleicht Ende dreißig war, sich aber viel Mühe gab, jünger zu wirken. DJ Stoffel, wie der joviale Typ sich vorstellte, war sonnenbankgegerbt, sein ledriges, aufgedunsenes Gesicht hatte zigarettenkippentiefe Falten, sein hellblondes Haar war schütter, und er hatte die Statur eines Möbelpackers. Er konnte mir nicht die Hand schütteln, weil er in der einen ein Bier und in der anderen einen Willy hielt, Williamsbirne mit Frucht. Seine Vorstellung hatte er nur nuscheln können, weil inzwischen wie von Zauberhand eine halb abgebrannte Fluppe in seinem Mundwinkel hing.
Ich nickte nur. Alte Hütte, so, so.
»Das ist unsere Bühne«, erklärte er an der Zigarette vorbei und blinzelte den Rauch weg.
Die Bühne mitten im Laden war vielleicht drei Quadratmeter groß und fünfzig Zentimeter über dem Niveau der Tanzfläche direkt davor, dahinter und drum herum. Der Barhocker für mich stand bereit, außerdem die
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