Sommerhit: Roman (German Edition)
etwas Abstand nahm.
»Nein«, sagte ich ehrlich. »Du warst und bist meine
einzige
große Liebe.«
»Wow.«
»Ja, wow. Es ist heute anders, du bist ein anderer Mensch, ich bin ein anderer Mensch, aber als ich dich und Nicole heuteVormittag auf dem Steg stehen sah, konnte ich nur eines denken.«
»Und was?«
»Danke. Ich habe immer wieder nur dieses Wort gedacht. Danke.«
Sie zog mich an sich, und ich bemerkte, dass ich mich vorhin um ein Kleidungsstück verzählt hatte.
Am Morgen schlug Mike vor, dass wir darüber abstimmten, ob ich Minkas Angebot annehmen sollte. Jeder hätte eine Stimme, Alter egal, Vorkenntnisse auch. György sollte ein Plädoyer für diese Option abgeben, mir bliebe es überlassen, gegen diese Möglichkeit zu reden – wenn ich noch wollte.
»Schauen wir mal«, sagte der Ungar, stand auf und verschränkte die Hände feierlich vor dem Bauch. »Da haben wir jemanden, der seine Freiheit genießt, es aber vermisst, das zu tun, woran er jahrelang gearbeitet hat. Ein fast schon klassisches Dilemma: extrem große Freiheit gegen leicht verringerte Freiheit mit vielen, vielen Chancen auf neue Freiheiten. Fragen wir uns, liebe Geschworene, was wir selbst in dieser Situation täten.«
Die kleine Prinzessin Nicole kicherte. György lieferte einen Auftritt, der sämtliche Strafverteidiger aus dramatischen Gerichtsfilmen als Statisten diskreditierte.
»Wir haben die unschöne Situation, dass sich die Bedenken unseres Protagonisten bewahrheitet haben. Aus einem Hit wurde ein Dogma, fast schon ein Stigma. Deshalb …«
Ich hob die linke, die freie Hand – die andere hielt eine von Karens Händen und ließ sie nicht mehr los.
»Wir können uns das ersparen. Es ist in Ordnung. Ich werde es tun. Ich singe mit Minka. Ich kehre zurück auf die Bühne.«
Es applaudierten nur sieben Menschen, aber es war der schönste Beifall meines Lebens.
Après-Ski (2006)
»Ist das schick?«
Ich sah von meinem Germknödel auf, dessen irritierender Duft glücklicherweise im Aroma der überfüllten »Hütte« – eines Self-Service-Bergrestaurants mit einem Fassungsvermögen von fast tausend Personen – unterging. Immerhin schmeckte es recht lecker.
Minka hatte sich teuer eingekleidet, Jacke, Hose, Mütze, Skibrille, Skischuhe und Skier. Auf allem prangten riesengroße Logos, die Skier bestanden praktisch nur aus Firmenwerbung. Erstaunlich, dass man trotzdem mehrere hundert Euro dafür abdrücken musste, um als ambulanter Werbeträger der Ausrüster die Alpenhänge hinunterzurutschen.
»Minka, man lässt die Bretter eigentlich draußen.«
»Oh. Echt?«
»Ja. Die Stöcke auch.«
»Aber das Zeug war so teuer.«
Ihre Antwort ging im Gegröle einer Gruppe unter, die einen der Ihrigen begrüßte, der mit einem Tablett voller Schnäpse an den Tisch zurückgekehrt war. Minka zuckte mit den Schultern und trug ihr Equipment vor die Tür. Drei Minuten später kehrte sie zurück.
»Das alles ist
äußerst
merkwürdig«, stellte sie fest.
Ich nickte. Skifahren war eine ausgesprochen angenehme Freizeitbeschäftigung, ich mochte die Geschwindigkeit, das Naturerlebnis, den Kick, wenn man eine steile schwarze Piste vor sich sah, und das Wahnsinnsgefühl, das eine rasante Abfahrt hinterließ, aber das Drumherum, vor allem hier, in Ischgl, relativierte das drastisch. Wir waren von lauter Irren umgeben, die feierten, soffen, sich fortwährend paarten, auf den Klos derHütten, in den Après-Ski-Läden, in den billigen Pensionen, und den Sport selbst nur als notwendiges Übel zu betrachten schienen. Morgen, nach unserem Auftritt im … »
Saustall «
oder so ähnlich, würde hier oben auf dem Berg ein Popkonzert stattfinden, das man eigentlich in Stadien und im Tal erwarten würde. Das Line-Up, die Besetzungsliste, umfasste drei von zehn Top-Ten-Acts aus den derzeitigen Charts. Das Konzept funktionierte: Dieses ehemalige Dorf mitten in den Alpen galt als einer der angesagtesten Partyorte Europas.
Minka schob ihre Skischuhe unter dem grob gezimmerten Tisch vor.
»Ist das eigentlich schwer?«
Ich zwinkerte. »Man richtet die Skispitzen aufs Tal aus und fährt dann runter. Es kommt in der Hauptsache darauf an, wieder anhalten zu können.«
Das Bummern von draußen, wo ein DJ die Eisbar vor der Hütte beschallte, wechselte in einen bekannten Rhythmus. Wir waren erst drei Stunden hier, aber ich hörte »Cool sein« bereits zum zweiten Mal. Ich sah aus dem Fenster, einige Menschen am Tresen der Eisbar verschränkten zum
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