Sommerhit: Roman (German Edition)
Gesangsmikros für Minka und mich.
»Da fehlt das Gitarrenmikro.«
Er blinzelte wieder, skeptisch. »Gitarre? Ihr macht doch Halbplayback, oder?« Er stellte das Bierglas auf den Tresen, nahm die aufgespießte Birnenscheibe vom Schnapsglas, kaute sie und spülte sie mit dem Brand hinunter, alles in einer Bewegung, es dauerte vielleicht drei Sekunden. »Auch einen?«
Ich schüttelte den Kopf zu beidem. »Später vielleicht. Und die Gitarre spiele ich immer live. Steht auch so im Vertrag.«
Er nickte langsam. »Scheiße«, sagte er dann grinsend, drehte sich um und verschwand.
Minka klopfte mir auf die Schulter, ich hatte sie schon kommen hören, schließlich trug sie immer noch die Skischuhe. Ihr Gesicht war stark gerötet und schweißfeucht, vermutlich war ihre Skiunterwäsche klatschnass.
»Verdammt. Du hättest mir sagen können, wie anstrengend das ist. Ich spüre meine Oberschenkel nicht mehr, und meine Füße sind vermutlich abgefallen. Außerdem kann ich höchstens noch Zigaretten anheben.«
»Ab dem dritten Tag macht’s Spaß.«
»Wir sind aber nur zwei Tage hier. Wo ist das Gitarrenmikro?«
»Das besorgt DJ Stoffel gerade. Wenn er sich nicht unterwegs die Lampe mit Willys zulötet.«
»Ich muss mich umziehen. Und eigentlich duschen.«
»Mach das nach dem Soundcheck. Das sollte schnell gehen.«
Ging es auch. DJ Stoffel war vielleicht Quartalssäufer und leicht verpeilt im Hinblick auf sein gefühltes Alter, aber er beherrschtedie Technik im »Saustall« perfekt. Das Einpegeln dauerte keine zwanzig Minuten, die Anlage in diesem Laden war hochkarätig, Stoffel hatte keine Fragen zur Setlist, der Aufstellung der Songs, die wir darbieten würden, und er reagierte prompt und punktgenau auf unsere Ansagen. Drei Quellen plus Playback waren allerdings auch keine Aufgabe für Physik-Nobelpreisträger.
»Wir fangen um fünf an. Ist zwar für vier angesagt, aber das machen wir immer so«, erklärte er, als wir uns am Tresen trafen. Seine Kabine und die Mischtechnik befanden sich im ersten Stock schräg über der Bühne.
»Dachte ich mir schon.«
»Seid um halb da, das reicht. Hinterer Eingang, dann rechts, da ist die Garderobe.«
Als wir eintrafen, war der Laden schon proppenvoll. Ein gedrungener, schwarzhaariger Mensch Ende zwanzig, der eine Bomberjacke mit der Aufschrift »Security« und ein Headset trug, geleitete uns in den Keller, wo sich die Garderoben befanden. Kaffee und Mineralwasser ohne Kohlensäure standen bereit. Von oben pochte der Rhythmus einer auf Techno getrimmten Fassung eines Fünfzigerjahre-Schlagers, den eine Sängerin, die man nur in solchen Schuppen kannte, vor ein paar Monaten aufgenommen hatte. Es gab erstaunlich viele Musiker, die ausschließlich von dieser Klientel lebten, Produktionsfirmen, Musiklabels und Booking-Agenturen, die maßgeschneiderte Musik und sogenannte Künstler ablieferten, die im Karneval, in den Feierschuppen an der Mittelmeerküste und in Après-Ski-Läden wie diesem hier eingesetzt wurden. Der örtliche Veranstalter, der uns gebucht hatte, war eine Tochterfirma der »Saustall«-Inhaber, und zu dieser Gruppe gehörten außerdem zwanzig weitere Einrichtungen dieser Art sowie drei Dutzend Entsprechungen im sonnigen Süden, vorallem auf den Balearen. Immerhin, die Organisation war perfekt. Vom Flughafen Innsbruck hatte man uns per Hubschrauber hierher transportiert, wir logierten in lässigen Juniorsuiten eines Fünf-Sterne-Hotels –, und das Salär stimmte. Für zwei Auftritte von jeweils vierzig Minuten, einer heute und einer morgen, bekamen wir vierstellige Summen, plus Spesen. Aber deshalb taten wir das nicht.
Ich hatte eine Wette verloren.
Ein Dreivierteljahr zuvor war es, moderiert von György, zum ersten Treffen gekommen. Wir tranken zusammen Rotwein in einer Bar im Prenzlauer Berg, musterten einander skeptisch, bis Minka nach einer Weile verschämt grinsend sagte: »Es tut mir leid. Ich habe einen Fehler gemacht. Mehrere. Martin, ich schätze dich sehr, das habe ich immer getan. Ich brauche dich. Und ich habe eine gute Idee.«
»Die da wäre?« Ich gab mich zurückhaltend, und vermutlich half meine eingeschränkte Mimik dabei, meine Begeisterung zu verbergen. Ich wollte endlich wieder Musik machen, freute mich darauf, mit Minka zu arbeiten, und es war mir fast egal, wie sich das Projekt im Detail darstellte. Hauptsache, auf Bühnen stehen. Singen. Leute zum Lächeln bringen, jenen Gesichtsausdruck bei ihnen erzeugen, zu dem ich nicht mehr
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