Sommerkind
anhand der Meilensteine ausfindig”, sagte er. “Achte mal auf den Fahrbahnrand. Die nächste Markierung müsste die Acht sein. Unser Cottage liegt zwischen den Meilensteinen sieben und acht.” Insgeheim war er froh über die Steine, denn er war sich ganz und gar nicht sicher, ob er die richtige Abzweigung noch finden würde. Vor allem, da sich die Landmarken seit seinem letzten Besuch drastisch verändert hatten.
“Da ist Nummer drei”, sagte Zack.
“M-hm.” Bei dem Anblick, der sich ihm bot, machte sich in Rory eine große Enttäuschung breit. Dieser Teil der Outer Banks war übersät von stelzenbeinigen Cottages, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Die Hauptstraße war mit Geschäften und Restaurants zugemüllt, und es waren entschieden zu viele Menschen und Autos unterwegs.
“Was ist das denn?” Zack zeigte durch die Windschutzscheibe auf einen Obelisken, der in einiger Entfernung von einem der Hügel in den Himmel ragte, die Kill Devil Hills seinen Namen gaben.
“Das ist das Wright Brothers National Memorial”, antwortete Rory, “das Denkmal für die Gebrüder Wright, die vor fast einhundert Jahren von dieser Stelle aus ihren ersten Flug unternahmen.”
“Cool”, sagte Zack anerkennend, als müsste er eingestehen, dass es doch nicht so abwegig war, diesen Ort zu mögen.
Nachdem sie Meilenstein Nummer sieben passiert hatten, lenkte Rory den Jeep in Richtung Meer und legte die kurze Strecke zur Strandstraße zurück. In der Hoffnung, es möge die richtige Weggabelung sein, bog er rechts ab, und nur wenige Augenblicke später erspähte er zu seiner Linken die Sackgasse.
“Da wären wir”, sagte er, als er in die kurze, breite Straße einbog. Nach dem hektischen Treiben auf der Route 158 war Rory beim Anblick seiner Sackgasse erleichtert. Sie sah noch genauso aus wie zu seinen Kindertagen, und ein Gefühl der Nostalgie packte ihn. Noch immer dieselben Cottages – nur eines fehlte. Das Haus am Ende der Straße, das unmittelbar ans Meer gegrenzt hatte, war verschwunden. Cindy Trumps Haus. Er konnte sich Cindy um einiges leichter ins Gedächtnis rufen als ihr Cottage. Sie war zwei Jahre älter gewesen als er, hatte von der Sonne gebleichtes Haar, einen sexy Teint und wohl den knappsten Bikini gehabt, den Kill Devil Hills je gesehen hatte.
Rorys Augen ruhten auf seinem alten Sommerhaus, das letzte der drei Cottages auf der rechten Seite. Er lachte. “Tja”, sagte er zu seinem Sohn, “sieht ganz so aus, als würden wir nun das Privileg der unmittelbaren Meeresnähe genießen. Früher stand zwischen unserem Cottage und dem Strand nämlich noch ein weiteres Haus. Aber das ist verschwunden.”
“Wie, verschwunden?”, fragte Zack.
“Vermutlich vom Meer verschluckt”, antwortete Rory. “Bei einem Unwetter, schätze ich.”
Er lenkte den Wagen in die Auffahrt. Das Haus sah aus wie immer – nur sauberer. Es war frisch gestrichen. Das Immobilienbüro machte seine Arbeit gut.
“
Poll-Rory”
, las Zack vom Schild über der Haustür ab. “Wart ihr das, du und Tante Polly?”
Rory folgte Zacks Blick. Dort hing nicht mehr das hölzerne Schild aus Kindertagen, dieses hier war blau mit weißen Buchstaben. Aber es überraschte ihn, dass es nach so vielen Jahren überhaupt noch ein Schild gab.
“Ja, genau”, sagte er. “Meine Eltern haben das Haus nach uns benannt.” Er fühlte einen Stich im Herzen. Die Zeit hier würde viele Erinnerungen an seine Schwester wachrufen.
Sein Blick wanderte zum Haus der Catos auf der anderen Straßenseite, und er entdeckte, dass auch bei ihnen über der Verandatür noch ein Schild hing.
Sea Shanty.
Richtig. So hieß ihr Cottage. Dabei war es alles andere als eine Hütte, wie man aus dem Namen hätte schließen können. Es war das größte Haus in der Sackgasse. Drei maulwurfsgraue Etagen türmten sich auf den Stelzen, und über dem zweiten Stockwerk befand sich der weiße Witwensteg, auf dem er und Daria als Kinder immer gespielt hatten.
“Oh Mann, wir sind ja wirklich direkt am Strand”, staunte Zack und öffnete die Autotür. “Das sehe ich mir mal genauer an.” Und schon flitzte er zum Wasser. Rory hielt ihn nicht auf.
Als er aus dem Wagen ausstieg, sah er zwei Autos in der Auffahrt des Sea Shanty stehen und fragte sich, wem die gehören mochten. Lebten Mr. und Mrs. Cato noch? Wie kamen sie wohl mit Shellys Plan zurecht, nach ihren Wurzeln zu suchen? Ob Chloe auch da war? Zu Jugendzeiten hatte sie ganz klar in einer höheren Liga gespielt als
Weitere Kostenlose Bücher