Sommerküsse voller Sehnsucht
Unruhe: Hugo.
Sie war erst eingeschlafen, aber dann immer wieder aufgewacht. Und das hatte nichts mit ihrer Umgebung zu tun. Okay, das Zimmer war winzig, aber es war ein gutes Hotel: Die Laken waren seidig, die Handtücher flauschig und die Matratze genau richtig. Nein, sie musste immer wieder an das denken, was fast passiert wäre.
Sie hätte sich niemals von Hugo küssen lassen dürfen. Der Drink und das Tanzen waren in Ordnung gewesen, doch dabei hätte sie es belassen müssen.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war erst sieben. Seufzend drehte sie sich auf den Rücken und überlegte, wie das alles hatte geschehen können. Man brauchte wirklich nicht viel Fantasie, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Hugo war extrem attraktiv, und sie war müde gewesen, ein bisschen betrunken und hatte sich einfach nicht so unter Kontrolle gehabt wie sonst. Aber das war ein höchst unprofessionelles Verhalten. Hugo und sie hatten bisher immer ausgesprochen gut zusammengearbeitet, es wäre fahrlässig, wenn sie das durch diesen unbedachten Moment aufs Spiel gesetzt hätte.
Sarah seufzte noch einmal und zwang sich, nicht mehr an Hugos berauschende Küsse zu denken. Hoffentlich machten sie nicht abhängig, und sie fand problemlos in ihren Alltag zurück! Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Natürlich würde sie das! Schließlich hatte sie sich nicht in ihn verliebt, und solange es nicht noch mal passierte, war alles okay.
Unweigerlich dachte sie an Bruce, den Mann, den sie einst für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte. Auf einer Kennenlernparty an der Uni hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen und für den attraktivsten Mann gehalten, den sie außerhalb einer Kinoleinwand je gesehen hatte. Auch Bruce war magisch von ihr angezogen gewesen. Sie war ruhig und vernünftig gewesen, und das hatte ihn viel mehr fasziniert als die kichernden Mädchenhorden, die sich sonst so auf der Party getummelt hatten. Hals über Kopf hatten sie sich ineinander verliebt und schon bald begonnen, über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken: wie sie wohnen würden, wie viele Kinder sie haben würden und wie sie irgendwann ihre Goldene Hochzeit feiern würden. Sie hatte Bruce voll und ganz vertraut. Und auch wenn sich alle Mädchen auf dem Campus die Finger nach ihm geleckt hatten – er hatte nur Augen für sie gehabt.
Und dann war plötzlich alles anders geworden. Als sie eines Tages in sein Apartment gekommen war und ihn mit einer anderen im Bett erwischt hatte, hatte sie das so nachhaltig erschüttert, dass sie sich geschworen hatte, sich nie wieder zur Sklavin der Liebe zu machen. Der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen, hatte sie grausam hintergangen – das war fast so gewesen, als hätte man ihr das Herz aus der Brust gerissen. Dabei hatte sie damals ohnehin Probleme genug gehabt. Kurz bevor sie mit ihrem Studium begonnen hatte, war ihre Mutter gestorben. Sarah musste sich damals um ihren Vater kümmern und vor allem um ihre jüngere, völlig verstörte Schwester Lily. Liebeskummer, die Sorge um die Familie und die viele Arbeit – es war die Hölle gewesen. Wenn sie in jener Zeit ihre Familie und ihre Freunde nicht gehabt hätte, hätte sie es niemals durchgestanden, und sie hatte sich schon damals geschworen, dieses Risiko nie wieder einzugehen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Schließlich hatte sie jetzt ein eigenes Unternehmen zu führen, und Lily brauchte ihre große Schwester immer noch.
Sarah schüttelte die schmerzlichen Erinnerungen ab. Hugo zu küssen, war wunderschön gewesen, das musste sie zugeben, aber sie konnte es sich nicht leisten, die Sache weiterzutreiben. Dabei beruhte dieser Wunsch wahrscheinlich sowieso nicht auf Gegenseitigkeit, schließlich hatte sie schon so einiges über ihn gehört. Am besten vergaß sie die ganze Episode schnell wieder. Gut, dass sie sich nicht zum Frühstück verabredet hatten. Entschlossen griff Sarah zum Telefon, um sich Kaffee und Toast aufs Zimmer kommen zu lassen. Dank der Qualität des Hotels und seines Zimmerservices saß sie zwanzig Minuten später im Auto und war auf dem Weg nach Hause – dorthin, wo das Leben einfach und normal war.
Doch sie hatte sich geirrt. Auf der Treppe vor dem Haus hockte ihre Schwester Lily. Sie war vier Jahre jünger als Sarah und sah aus wie ein Schulkind in Erwachsenenkleidung. Nur dass ihre Kleidung keine Erwachsenenkleidung war. Sie bestand im Wesentlichen aus einem Babydoll-Pyjama-Oberteil
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