Sommerkuesse
Zaubertränke gebraut. Und nach geheimen Zeichen und Symbolen gesucht, die nur wir deuten konnten. Mit neun ist er dann weggezogen. Ich hab ihn so vermisst, dass ich den ganzen Sommer über mein Taschengeld gespart hab, um ihn zu besuchen. Ich bin ganz alleine mit dem Bus zu ihm gefahren. Die Fahrt hat Stunden gedauert. Und als ich endlich vor dem neuen Haus stand, in dem er wohnte, hatte er sich schon mit lauter Jungs angefreundet, nannte sich James und hat mich wie Dreck behandelt. Das war’s.«
»Autsch, du Arme!« Battle muss die Augen leicht zusammenkneifen, wenn sie zu mir hochschaut, weil die Nachmittagssonne so hell scheint. »Und was für geheime Zeichen waren das?«
»Ach, wenn wir zum Beispiel einen Ast gesehen haben, der in eine bestimmte Richtung zeigte, haben wir uns vorgestellt, es wäre ein Wegweiser, und sind in diese Richtung losgegangen. Und du kennst doch sicher diese Kreidemarkierungen auf der Straße, wenn die Stadtwerke irgendwas an den Rohren oder Abwasserkanälen reparieren? Wir haben uns alle möglichen verrückten Bedeutungen dafür ausgedacht. So was eben.«
»Klingt super. Schade, dass er später so ein Arsch geworden ist.«
Ich lasse die Beine baumeln und Battle streichelt mir kurz tröstend über die Wade. Der Schreck fährt mir durchs Bein bis hinauf ins Rückenmark.
»Wer war denn dein bester Freund, als du klein warst?«, frage ich, um Zeit zu gewinnen, bis ich mich wieder beruhigt
habe. An solche Berührungen bin ich einfach nicht gewöhnt.
Sie seufzt. »Nic.«
»Tut mir Leid, war das etwa auch so eine blöde Geschichte, wie bei mir? Du musst sie mir nicht … o. Ach so, du meintest Nick-mit-K, oder?«
Sie nickt. »Wir waren eine Superfamilie und haben uns alle verstanden. Bis wir dann plötzlich keine Familie mehr waren.«
»Und sonst hattest du keine Freunde?«
Komisch – hier oben im Baum, wo jede auf ihrem eigenen Ast sitzt, fällt das Sprechen irgendwie leichter. Liegt das daran, dass wir uns dabei nicht ansehen können?
Battle seufzt wieder. »Ich bin ziemlich schüchtern, falls du es noch nicht gemerkt hast.«
»Ehrlich gesagt nicht.« Wie kann sie sich als schüchtern bezeichnen? Sie hatte schon was mit Jungs. Und als wir uns das erste Mal geküsst haben, hat sie angefangen.
»Wenn Katrina mich am ersten Tag nicht zu euch rübergerufen hätte, wäre ich wahrscheinlich mit keinem von euch jemals ins Gespräch gekommen.« Sie hat einen Finger im Mund, als sie das sagt.
»Aber du bist so…« Schön. Klug. Toll. »Du wirkst so selbstbewusst. Wie du sprichst. Deine ganze Art . Also, ich meine … du bist nicht wie Katrina – du sagst zwar nicht viel, aber wenn du was sagst, hat man das Gefühl, dass es … wichtig ist.«
Battles Finger blutet. »Ich rede nicht viel, weil Worte nicht immer funktionieren.«
Doch, tun sie, will ich sagen. Aber aus irgendeinem Grund bringe ich es nicht heraus.
Also hat sie Recht.
Aber ich kann auch nicht dieses Schweigen in der Luft hängen lassen – deshalb frage ich etwas, das mir schon seit längerem im Kopf herumgeht.
»Wie haben deine Eltern reagiert, als er abgehauen ist? Haben sie versucht, ihn zu finden?«
»Gestritten haben sie sich«, sagt Battle tonlos. »Mom wollte zur Polizei oder einen Privatdetektiv anheuern, das volle Programm eben. Dad hat gesagt, Nick soll selbst entscheiden, was er macht. Er ist sich sicher, dass er sich bei uns meldet, wenn er dazu bereit ist.«
»Und wer hat gewonnen?«
»Keiner.«
Das ist wieder mal eine ihrer Nicht-Antworten. Will sie denn nicht, dass ich etwas über sie erfahre? Ich starte einen neuen Versuch.
»Streitende Eltern sind echt ätzend. Meine hätten sich beinahe scheiden lassen, als ich neun war. Sie haben sich zwar nicht angeschrien, aber sie gingen plötzlich ganz kühl und übertrieben höflich miteinander um – ich hab mich zu Hause gefühlt wie im Hotel. Brüllen deine Eltern sich an, wenn sie streiten?«
»Nein.«
Okay, das war wohl auch nichts. Einen Versuch habe ich noch. Aller guten Dinge sind schließlich drei, oder?
»Sag mal – was ganz anderes. Wie lange hast du Dante und Beatrice eigentlich schon?«
Zum ersten Mal, seit der Name ihres Bruders gefallen ist, lächelt Battle wieder zu mir hinauf.
»Die beiden sind Wurfgeschwister – die Mutter hat Leuten
aus unserer Kirchengemeinde gehört. Ich hab sie… warte mal … vor vier Jahren und siebenunddreißig Tagen bekommen. Da waren sie acht Wochen alt. Meine Eltern haben mir am Anfang nicht
Weitere Kostenlose Bücher