Sommerkuesse
Beweis dafür, dass ich doch lesbisch bin und nicht bisexuell, oder heißt es einfach nur, dass ich Battle liebe und Isaac bloß mag?
Vielleicht wirst du es nie erfahren, Nic. Vielleicht solltest du endlich aufhören, alles zu zerfieseln.
Der Bus kommt rumpelnd zum Stehen.
Als ich zum Fenster hinausschaue, sehe ich, dass wir nicht auf einem richtigen Parkplatz stehen, sondern am Rand einer breiten, unbefestigten Piste. Bei schlechtem Wetter verwandelt sie sich wahrscheinlich in ein Schlammbad. An der Seite
parken vier, fünf Pkw dicht nebeneinander, als würden sie miteinander tuscheln.
Hinter der Piste erstreckt sich eine riesige, grasbewachsene Fläche. Ich muss an die unbebauten Felder denken, an denen man auf Landstraßen vorbeifährt und auf denen immer irgendwelche Schilder stehen: »5000 Morgen Land – zu verkaufen oder zu verpachten«, »Jesus ist für eure Sünden gestorben« oder »Steinfreier Füllboden gesucht«.
Anne und ich stehen auf und strecken uns. »Sieht nicht besonders aufregend aus, was?«
»Die Ausgrabung ist da drüben, glaub ich.« Anne deutet in die andere Richtung. Dort sehe ich ebenfalls Wiese, aber in der Ferne ist ein aufgeschütteter Erdhaufen zu erkennen und eine große Fläche, die durch gespannte Seile in kleine Quadrate aufgeteilt ist, wie ich es von den Abbildungen in unseren Archäologiebüchern her kenne. In einigen der Quadrate wuseln Menschen herum. Ich muss an einen Ameisenhügel denken, aber das liegt wohl hauptsächlich an den Erdhaufen.
Es fällt mir sehr schwer, mich auf Dr. Francis’ Geschwafel zu konzentrieren. Er erinnert mich an den dicken, kahlen rosaroten Mann, der zu Beginn des Ferienkurses den Einführungsvortrag gehalten hat – ich habe das Gefühl, das ist eine Million Jahre her.
Dieser Francis sollte lieber den Mund halten und Ms Fraser erzählen lassen. Er redet nur von dem Antrag auf Fördergelder, den sie gestellt haben, und über die anderen Forschungsprojekte, gegen die sie konkurrieren mussten. Was soll uns das bringen?
»Es ist uns zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt gelungen,
eine Flächenausgrabung dieser Größe zu einem ganz beträchtlichen Anteil aus Fördergeldern zu finanzieren. Das ist ein ermutigender Beleg dafür, dass unsere Geldgeber sich über die Bedeutung unserer Forschungsarbeiten im Klaren sind.«
Wieso erzählt er uns nicht etwas über die Forschungsarbeiten selbst, statt uns damit voll zu sülzen, wie toll es ist, die nötige Kohle dafür zu haben? Ich gucke zu Anne rüber, um zu sehen, ob sie sich genauso langweilt wie ich, aber sie schreibt konzentriert in ihr kleines ledernes Notizbuch.
Ich bin so was von angeödet, dass ich versuche, einen Blick auf ihre Notizen zu erhaschen. »Adidas (grün): ja.« Sie plant ihre Fitnessgarderobe!
Statt dem dicken rosaroten Dr. Francis beim Dozieren zuzuhören, sehe ich mich lieber ein bisschen um – dabei lerne ich sicher mehr. Unglaublich, wie lange er schon am Schwallen ist, ohne irgendwas Interessantes gesagt zu haben.
Als ich meine Blicke über die abgegrenzten Vierecke schweifen lasse, in denen gearbeitet wird, erstarre ich plötzlich. Da drüben steht Battle!
Ich gucke noch mal hin und sehe, dass es doch nicht sie ist, nicht sein kann. Battle hat sich die Haare ja abgeschnitten. Aber diese andere Frau hat genau die gleichen langen Haare wie Battle am Anfang des Sommers. Sie steht mit dem Rücken zu mir, sodass ich sie ungeniert anstarren kann. Plötzlich dreht sie sich mit einem Ruck um, als hätte sie meinen Blick gespürt.
»Sie« ist ein »er«. Ein langhaariger, blauäugiger, sehr gut aussehender Typ, der damit beschäftigt ist, die Erde mit einem Sieb nach winzigen Fundstücken zu durchsuchen. Er lächelt
und winkt mir zu. Ich laufe knallrot an und winke zurück. Dabei stelle ich mir vor, wie ich zu ihm sage: »Tut mir Leid, dass ich so gestarrt habe, aber du siehst von hinten genauso aus wie meine Ex-Freundin.«
In diesem Moment dringt Dr. Francis’ Stimme wieder zu mir durch. »So, ich schlage vor, dass wir die Mittagspause heute vorverlegen, damit ihr genug Zeit habt, euch mit meinen Mitarbeitern zu unterhalten.« Er wendet sich an ein paar der Leute, die in der Nähe arbeiten. »Seid so gut und zeigt unseren Gästen, wo sie etwas zu essen bekommen.«
Einige der Leute vom Ausgrabungsteam klatschen Beifall, worauf auch ein paar aus unserer Gruppe applaudieren. Der Typ, der nicht Battle ist, legt sein Sieb hin und schlendert auf mich zu. Als er vor mir
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