Sommerliches Schloßgewitter
kurz vor meiner Abreise.«
»Und sie ist rüstig, sagen Sie? Vor zwei Jahren hörte ich, sie sei gelähmt. Sie meinten sicherlich, trotz Lähmung noch rüstig.«
Die Fältchen in seinen Augenwinkeln wurden tiefer und vermehrten sich. Das Monokel blitzte wie das Auge eines Drachens. Er lächelte verschmitzt.
»Nun erzählen Sie mal, Miss Brown«, sagte er. »Was wird hier eigentlich gespielt?«
Noch mehr Schocks für Sue
1
Sue schwieg. Wenn einem der feste Boden unter den Füßen zerschmilzt, ist man nicht zum Reden aufgelegt. Sie wich dem Monokel aus und sah mit großen, ausdruckslosen Augen einer Amsel zu, die geschäftig auf dem Rasen umherlief. Hinter ihr räusperte sich der Himmel, so als habe er auf diesen Augenblick gewartet.
»Dort oben«, fuhr der Ehrenwerte Galahad fort und deutete zur Kleinen Bibliothek hinauf, »ist der Raum, wo ich arbeite. Und wenn ich mal nicht arbeite, dann schaue ich aus dem Fenster. Als Sie sich vor kurzem hier unten mit meinem Bruder Clarence unterhielten, schaute ich auch hinaus. Und es war jemand bei mir, der ebenfalls hinausschaute.« Seine Stimme schien unklar und weit entfernt. »Ein Theatermanager, mit dem ich früher viel zusammen war. Ein Mann namens Mason.«
Die Amsel war weggeflogen. Sue starrte noch immer auf den Fleck, wo sie gesessen hatte. Sie erinnerte sich plötzlich lebhaft, wie sie vor vielen Jahren – denn unter Anspannung fallen einem die seltsamsten Dinge ein – mit ihrer Mutter zum erstenmal auf dem Dampfer zur Insel Man gefahren war und auf einmal anfing, das Schlingern des Schiffs wahrzunehmen. In dem Augenblick kurz vor der Katastrophe hatte sie genau so ein Gefühl gehabt wie jetzt.
»Wir sahen Sie, und er sagte: ›Da ist ja Sue!‹ – Ich sage: ›Sue? Was für eine Sue denn?‹ – ›Sue Brown‹, sagt Mason. Er erklärte mir, Sie wären eins von den Mädchen an seinem Theater. Anscheinend war er nicht sehr überrascht, Sie hier zu sehen. Er meinte, es hätte sich wohl alles geklärt, und er sei froh darüber, denn Sie wären ein Goldstück. Er wollte rausgehen und mit Ihnen plaudern, aber das habe ich verhindert. Ich dachte mir, daß Sie vielleicht lieber mit mir allein über diesen Umstand reden wollen, daß Sie Sue Brown sind. Und das bringt mich wieder auf die Frage: Was, Miss Brown, wird hier gespielt?«
Sue fühlte sich elend, hilflos, hoffnungslos.
»Das kann ich nicht erklären«, sagte sie.
»Na, na«, protestierte der Ehrenwerte Galahad. »Soll das etwa eins der großen Rätsel der Geschichte bleiben? Wollen Sie, daß ich nie mehr ruhig schlafen kann?«
»Ach, es ist eine so lange Geschichte.«
»Wir haben den ganzen Abend Zeit. Machen Sie langsam, eins nach dem andern. Zunächst mal: Was meinte Mason damit, daß sich alles geklärt hätte?«
»Ich hatte ihm von Ronnie erzählt.«
»Ronnie? Von meinem Neffen Ronnie?«
»Ja. Und da er mich hier sah, nahm er natürlich an, daß Lord Emsworth und alle andern hier der Verlobung zugestimmt und mich aufs Schloß eingeladen hätten.«
»Verlobung?«
»Ich war mit Ronnie verlobt.«
»Was denn? Mit dem jungen Fish?«
»Ja.«
»Großer Gott!« stöhnte der Ehrenwerte Galahad.
Sue merkte, wie die Spannung mit einem Mal nachließ. Seltsamerweise fiel ihr das Reden jetzt gar nicht mehr so schwer. Obwohl ihr Verstand das für Unsinn erklärte, hatte sie das Gefühl, mit einem potentiellen Freund und Verbündeten zu sprechen. Dieser Gedanke kam ihr, als sie aufblickte und ihrem Gegenüber ins Gesicht sah. Kein Mann hört sowas gern, aber es läßt sich nicht leugnen, daß das Gesicht des Ehrenwerten Galahad, wenn er den Geständnissen eines reuigen Sünders lauschte, oftmals die Strenge und Mißbilligung vermissen ließ, die man bei solchen Anlässen eigentlich erwartet.
»Aber wie ist Papa Mason bloß hierher gekommen?« fragte Sue.
»Er wollte etwas Geschäftliches im Zusammenhang mit … Aber das gehört nicht zur Sache«, sagte der Ehrenwerte Galahad und rief die Versammlung zur Ordnung. »Bitte bleiben Sie beim Thema. So langsam dämmert’s mir. Sie sind also mit Ronald verlobt?«
»Das war ich.«
»Haben Sie die Sache wieder gelöst?«
»Nein, er.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Deshalb bin ich ja hier. Wissen Sie, Ronnie war hier und ich war in London, und in Briefen kann man doch nie etwas richtig klarmachen, und da dachte ich, wenn ich nach Blandings käme, könnte ich mit ihm reden und alles erklären und aus der Welt schaffen … und einmal trafen Ronnie und ich Lady
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