Sommerliches Schloßgewitter
alles so unerfreulich machte, war die Aussicht, daß er selbst sie heiraten sollte.
Er stöhnte im Geiste und bemerkte dann, daß er nicht mehr alleine war. Die Tür hatte sich geöffnet, und sein Freund Hugo Carmody war hereingekommen. Mit leichter Verwunderung stellte er fest, daß Hugo die traditionelle Montur eines englischen Gentleman trug, der im Begriff ist zu dinieren. Es war offenbar später, als er gedacht hatte.
»Na?« sagte Hugo. »Noch nicht umgezogen? Es hat schon gegongt.«
Ronnie wurde jetzt klar, daß er den Anblick dieser Sippschaft beim Abendessen nicht würde ertragen können. Wahrscheinlich hatte Millicent inzwischen die Sache mit der Verlobung überall herumposaunt, und das bedeutete endlose Kommentare, entnervende Glückwünsche, Küßchen von seiner Tante Constance, Späßchen des Jahrgangs 1895 von seinem Onkel Galahad – mit anderen Worten, Sums und Schwafel. Und er war nicht in der Stimmung für Sums und Schwafel. Einen kargen Imbiß mit ein paar Trappistenmönchen hätte er vielleicht noch ertragen, aber nicht ein üppiges Mahl inmitten der Familie.
»Ich will kein Abendessen.«
»Kein Abendessen?«
»Nein.«
»Bist du krank oder was?«
»Nein.«
»Und trotzdem willst du kein Abendessen? Komisch! Na, dein Bier. Anscheinend muß ich mir heute den Futtersack ganz alleine umhängen. Beach sagte mir, daß Baxter auch nicht an die Krippe kommt. Ist anscheinend wegen irgendwas verschnupft und läßt sich nur einen Schnaps und ein paar Sandwiches im Rauchsalon servieren. Und was diese Pestbeule Pilbeam betrifft«, sagte Hugo grimmig, »den knöpfe ich mir bei nächster Gelegenheit vor, und danach wird ihm auch kein Abendessen mehr schmecken.«
»Und wo sind die andern?«
»Weißt du das nicht?« fragte Hugo überrascht. »Sie essen drüben beim alten Parsloe. Deine Tante, Lord Emsworth, der gute Galahad und Millicent.« Er räusperte sich, und einen Augenblick herrschte verlegenes Schweigen. »Übrigens, Ronnie – da wir gerade von Millicent sprechen.«
»Ja?«
»Deine Verlobung mit ihr!«
»Was ist damit?«
»Ist nicht mehr.«
»Ist nicht mehr?«
»Nein. Feierabend. Sie hat sich’s anders überlegt.«
»Was!«
»Ja. Sie wird mich heiraten. Weißt du, wir sind nämlich schon seit Wochen verlobt – in aller Stille, sozusagen –, aber wir hatten Krach. Krach ist jetzt beigelegt. Völlige Versöhnung. Und deshalb hat sie mich gebeten, dir schonend beizubringen, daß sie dich unter diesen Umständen wieder in Umlauf setzen will.«
Ronnie wurde von Glücksgefühlen überwältigt. Er fühlte sich wie ein Mann auf dem Schafott, wenn der Bote mit der Begnadigung hinzueilt.
»Na, das ist ja die erste gute Nachricht, die ich seit langem höre«, sagte er.
»Wieso? Wolltest du denn Millicent nicht heiraten?«
»Natürlich nicht.«
»Was heißt hier ›natürlich‹?« sagte Hugo pikiert.
»Sie ist ja ein sehr liebes Mädchen …«
»Ein Engel. Der Spitzenengel von Shropshire.«
»… aber ich liebe sie genauso wenig wie sie mich.«
»Warum«, fragte Hugo tadelnd, »hast du dich dann mit ihr verlobt? Sowas Knallköpfiges!« Dann schnalzte er mit der Zunge. »Natürlich! Jetzt verstehe ich. Du hast dir Millicent geangelt, um Sue eins auszuwischen, und sie hat dich geangelt, um mir eins auszuwischen. Und jetzt hast du wahrscheinlich mit Sue alles wieder gerade gebogen. Sehr vernünftig. Hätte es nicht besser machen können. Sie ist genau das richtige Mädchen für dich.«
Ronnie zuckte zusammen. Diese Worte hatten an einen empfindlichen Nerv gerührt. Er hatte versucht, nicht mehr an Sue zu denken, aber ohne Erfolg. Immer wieder sah er sie vor sich. Und da sie nun einmal nicht zu verdrängen war, hatte er sich bemüht, Unfreundliches von ihr zu denken.
»Nein, hab ich nicht!« rief er gequält.
Erstaunlich, wie schwer es sogar jetzt war, Unfreundliches von Sue zu denken. Sue war eben Sue. Diese fundamentale Tatsache stand ihm im Weg. So sehr er sich auch anstrengte, seine Gedanken auf die Tragödie in Marios Restaurant zu konzentrieren – sie glitten immer wieder zurück zu früheren Erinnerungen an Sonnenschein und Glück.
»Du hast nicht?« fragte Hugo ernüchtert.
Der Gedanke, daß Ronnie von Sues Ankunft im Schloß gar nichts wissen könnte, war ihm nie gekommen. Er glaubte, daß sie sich schon längst begegnet wären. Und aus der Gelassenheit, mit der sein Freund auf die Nachricht vom Verlust Millicents reagierte, hatte er geschlossen, daß zwischen ihm und Sue
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