Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
ihren Mund und atmete ein paarmal tief durch.
Beruhige dich. Aber es half nicht viel.
Er lehnte sich zurück und kippte mit seinem Sessel nach hinten, bis er nur noch auf zwei Beinen stand. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Vor allem nachdem diese Typen …«
Sie fiel ihm ins Wort: »Elfen, Hofelfen, folgen mir. Sie könnten noch viel, viel schlimmere Dinge tun. Sie wollen irgendetwas, und ich bin ungern die Einzige, die nicht weiß, was es ist.« Sie verstummte und dachte darüber nach, was die Elfenmädchen in der Bibliothek gesagt hatten. »Die Elfen haben Keenan – wenn sie dir nicht gerade lüsterne Blicke zugeworfen haben – den ›Sommerkönig‹ genannt.«
Sein Sessel knallte zurück auf den Boden. »Er ist ein König?«
»Vielleicht.«
Nun schaute er besorgt – ein Hauch von Panik huschte über sein Gesicht –, aber er nickte. »Ich werde morgen sehen, was ich über diesen Titel finden kann. Ich hatte vor, im Internet zu suchen, während ich auf die anderen Bücher warte.«
»Klingt gut.« Sie lächelte und versuchte ihre eigene Angst in Schach zu halten. Sie wollte gar nicht daran denken, dass es möglicherweise nicht nur Hofelfen, sondern sogar ein Elfen könig war, der sie verfolgte.
Seth sah sie an, wie man jemanden anschaut, der an einem Abgrund steht und von dem man nicht weiß, ob er springen wird oder nicht. Er bat sie nicht, weiter über die möglichen Gefahren nachzudenken, weiter darüber zu reden. Stattdessen fragte er: »Bleibst du zum Essen?«
»Nein.« Sie stand auf, spülte ihre Tasse aus und holte noch einmal tief Luft. Dann steckte sie die Hände in die Taschen, damit er sie nicht zittern sah, drehte sich um und sagte rasch, bevor sie es sich doch noch anders überlegen konnte: »Ich glaube, ich gehe mir mal anschauen, was heute Abend da draußen so rumläuft. Vielleicht sagt ja einer von ihnen etwas, so wie die Mädchen heute in der Bibliothek. Kommst du mit?«
»Sekunde.« Seth öffnete eine alte Seemannstruhe, auf der LEHRBÜCHER stand, und holte einige Zigarrenkisten voller Schmuck heraus. Lederarmbänder mit großen Metallringen, zarte Kameen und samtene Schmuckschatullen kamen zum Vorschein. Er wühlte darin herum und legte nach und nach einige Stücke beiseite. Auch eines der Lederarmbänder war dabei.
Er kramte noch eine Weile weiter und zog schließlich Pfefferspray hervor. »Für Menschen, aber vielleicht wirkt es ja auch bei Elfen. Keine Ahnung.«
»Seth, ich …«
»Steck es einfach in deine Tasche, zu dem Salz.« Er grinste. Dann hielt er eine Halskette und ein Armband aus groben Kettengliedern hoch, die ganz sein Stil waren. »Stahl. Das verbrennt sie angeblich, oder schwächt sie zumindest.«
»Ich weiß, aber …«
»Hör zu, es spricht doch nichts dagegen, dass du alle Mittel anwendest, die du hast, oder?«
Als sie nickte, kam er zu ihr und bedeutete ihr, sich umzudrehen. Er schob ihre Haare beiseite und hob sie über ihre Schulter. »Halt mal.«
Sie tat es schweigend. Es fühlte sich merkwürdig an, ein wenig zu nah nach der gespannten Atmosphäre von vorhin, aber sie blieb stehen, während Seth ihr die Kette um den Hals legte.
Vielleicht hat er Recht. Warum nicht alles nehmen, was sie kriegen konnte? Die Idee, nach den Elfen suchen zu gehen, verstieß gegen sämtliche Regeln, die sie gelernt hatte. Aber sie würde es trotzdem tun, sie würde es versuchen. Das war besser, als zu warten. Ich muss es versuchen. Etwas tun.
Selbst in diesem Augenblick konnte sie Elfen draußen vor dem Fenster sehen: Einer kauerte oben auf einer Hecke, die eigentlich unter ihm hätte nachgeben müssen. Aber sie tat es nicht.
Seth befestigte die schwere Kette um ihren Hals und ließ sie auf ihre Haut fallen. Dann küsste er ihren Nacken und ging an ihr vorbei zur Tür. »Lass uns gehen.«
Neun
»Das Elfenvolk war höchst musikalisch und …
einer der größten Reize und Verlockungen,
bei ihnen zu bleiben, war ihre Musik.«
Walter Gregor: Beobachtungen zum Volkstum
des nordöstlichen Schottland (1881)
Donia brauchte Bewegung. Sie versuchte, sich einen Reim auf die neuesten Vorkommnisse zu machen – Warum griffen Sterbliche Ash an? War das bloßer Zufall? Sie ging an den Obdachlosen vorbei, die an den verwitterten roten Ziegelsteinhäusern lehnten, an der Gruppe von jungen Männern, die allzu laute anzügliche Bemerkungen machten, an dem offenen Tausch von Bargeld gegen Crack zwischen zwei mageren Typen.
In all den Jahrzehnten, die Donia nun
Weitere Kostenlose Bücher