Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
der rußgeschwärzten Gebäude auf dem Bahnhofsgelände. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Sasha legte sich ihr zu Füßen.
Da sie früher zu den Sterblichen gehört hatte, war es für sie nicht ganz so schlimm wie für die anderen Elfen, in die Nähe von Eisen zu kommen, aber dennoch schmerzte es. Wenn es Sasha wehgetan hätte, wäre sie nicht hergekommen, aber der Wolf war immun dagegen.
Die Wachen blieben weiter auf Abstand, doch es musste schmerzhaft für sie sein, auch nur in die Nähe von so großen Eisenmengen zu kommen. Keenan gab ihnen ein Zeichen, sich weiter zurückzuziehen.
»Donia?« Er streckte den Arm aus, als wollte er ihre Hand nehmen, tat es dann aber doch nicht. Seine Berührung würde ihr mehr wehtun als das Eisen. Also legte er seine Hände rechts und links von ihr an die Wand, wobei seine Handflächen einen Teil des Graffitos auf der Mauer verdeckten, und bildete mit seinen Armen eine Art Gefängnis. »Warum kommst du hierher?«
»Um mich daran zu erinnern, was ich verloren habe.« Sie öffnete ihre Augen und hielt seinem Blick stand. »Um mich daran zu erinnern, dass ich keinem von euch trauen kann.«
Sie war einfach unmöglich.
Er verzog das Gesicht unter ihren anklagenden Blicken. So viele Jahrzehnte führten sie nun schon diesen Streit. »Ich habe dich nicht angelogen.«
»Aber du hast mir auch nicht die Wahrheit gesagt.« Sie schloss ihre Augen wieder.
Mehrere Minuten lang sagte keiner von ihnen ein Wort. Ihr kalter und sein warmer Atem vermischten sich und stiegen wie Dampf über ihnen auf.
»Geh weg, Keenan. Ich mag dich heute auch nicht mehr als gestern oder vorgestern oder …«
»Aber ich mag dich immer noch«, unterbrach er sie. »Das ist die Ironie daran, nicht wahr? Ich vermisse dich noch immer. Jedes Mal, wenn wir das hier tun, Don.« Er senkte seine Stimme, um zu verbergen, wie heiser sie war. »Du fehlst mir.«
Sie schlug nicht einmal die Augen auf, um ihn anzusehen.
All die Liebe, die sie für mich empfunden hat, ist schon vor Jahrzehnten erloschen. Wenn doch nur alles anders wäre … aber das ist es nicht. Er schüttelte den Kopf. Donia war nicht die Richtige . Sie war eins der Mädchen, die er niemals haben würde. Er musste darüber nachdenken, wie er an Ashlyn herankam, nicht über die, die er verloren hatte.
Er seufzte. »Willst du mir nicht sagen, was Beira von dir wollte?«
Jetzt sah Donia ihn an. Sie brachte ihr Gesicht so nah an seins heran, dass er ihre Worte auf seinen Lippen spürte. »Beira will das Gleiche wie du: dass ich tue, was sie sagt.«
Er trat mehrere Schritte zurück. »Verdammt, Donia, ich will nicht …«
»Sei still. Sei einfach still.« Sie drückte sich von der Gebäudewand ab und ging auf Sasha gestützt davon. »Sie will, dass ich Ashlyn dazu bringe, dir nicht zu vertrauen. Sie hat mir bloß eine kleine Auffrischung gegeben, für den Fall, dass ich vergessen habe, was meine Aufgabe ist.«
Sie verbarg etwas: Beira besuchte sie nicht nur, um ihr das zu sagen. Evan, der Ebereschenmann, der über Donia wachte, hatte gesagt, sie sei in Panik gewesen, als Beira ging.
In Panik . Aber sie vertraute ihm nicht genug, um ihm zu sagen, weshalb. Warum sollte sie auch? Er ging ihr erneut nach, wollte es noch einmal versuchen.
»Bitte.« Ihre Stimme bebte. »Nicht heute. Lass mich heute einfach in Ruhe.«
Damit ging sie weg, näher an den Bahnhof heran, so nah, wie sie es aushalten konnte, ohne vor Schmerzen zusammenzubrechen. Und es gab nichts, was er tun konnte, um sie aufzuhalten, um ihr zu helfen. Also schaute er ihr nach, bis sie hinter einer Mauer verschwand.
Bei Einbruch der Dämmerung hatte Donia sich wieder gefasst, aber in der Nähe des Bahnhofs zu sein, machte sie müde. Also legte sie an dem Brunnen auf der Willow Avenue, einen Häuserblock von Ashlyns Haus entfernt, eine Rast ein. Sie ließ Sasha laufen, um den Wolf nicht zu zwingen, still neben ihr zu stehen, wenn er eigentlich umherstreifen wollte.
Das harte Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf der Wasseroberfläche des Brunnens und warf violette Schatten auf den Vorplatz. Ein alter Mann spielte auf einem abgegriffenen Saxofon für die Passanten. Donia streckte ihre Beine auf einer Bank aus, genoss das Spiel der Schatten, lauschte der Musik und dachte nach.
Den Gesprächen, die sie vorher mit einigen Elfen geführt hatte, konnte sie lediglich entnehmen, dass niemand reden wollte. Weder Beiras Winterelfen noch Irials Dunkelelfen – die eng mit dem
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