Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
ihrem Schoß und sah ihn nur finster an.
Ashlyn griff nach Keenans Arm. »Du musst gehen. Jetzt sofort.«
Er ließ sich auf die Füße ziehen, aber er sah schrecklich aus. Die Freundlichkeit in seinem Gesicht war einer wilden Entschlossenheit gewichen. »Du kommst heute Abend zu mir, und wenn nicht, werde ich dich finden – dich und deinen Seth. Das ist nicht, was ich will, aber mir bleibt keine andere Wahl.«
Ashlyn sah ihn perplex an, und erst allmählich sickerte zu ihr durch, was er da sagte. Am Morgen war sie noch bereit gewesen, mit ihm zu reden, das Unvermeidliche zu akzeptieren, und er drohte ihr. Er drohte Seth. »So nicht, Keenan«, sagte sie, so eisig sie konnte.
Er zog den Kopf ein. »Ich hätte es auch lieber anders, aber ich …«
»Verschwinde«, fiel sie ihm ins Wort.
Sie packte ihn am Arm und führte ihn zur Tür.
»Wir können später reden, aber wenn du auch nur eine Sekunde glaubst, Drohungen würden dich weiterbringen …« Ihre Wut schnürte ihr die Kehle zu. »Du willst mir nicht im Ernst drohen.«
»Nein«, sagte er leise, »aber wenn ich muss, werde ich es tun.«
Sie öffnete die Tür und schob ihn hinaus. Dann warf sie sie zu, holte ein paarmal tief Luft, lehnte sich von innen dagegen und begann: »Grams, ich …«
»Lauf weg, bevor er wiederkommt. Ich kann dich nicht beschützen. Nimm deinen Seth und geh mit ihm irgendwohin, weit weg von hier.« Grams trat ans Bücherregal, nahm ein staubiges Buch heraus und schlug es auf. Es war in der Mitte ausgehöhlt, und in dem Loch lag ein dicker Stapel Geldscheine. »Das ist Geld für deine Flucht. Ich habe angefangen, es zurückzulegen, als Moira gestorben ist. Nimm es.«
»Grams, ich …«
»Nein! Du musst gehen, solange du noch kannst. Sie hatte kein Geld, als sie geflohen ist; vielleicht hilft es dir …« Damit ging sie in Ashlyns Zimmer, zerrte eine Reisetasche hervor und stopfte entschlossen Kleider hinein, während sie alles um sich her ignorierte – auch Ashlyns wiederholte Versuche, mit ihr zu reden.
Achtundzwanzig
»Es heißt, sie hätten adlige Herrscher und Gesetze,
aber keine erkennbare Religion.«
Robert Kirk /Andrew Lang: Die verborgene Gemeinschaft (1893)
Keenan hörte Elenas Äußerungen so klar und deutlich, als befände sie sich neben ihm, aber er blieb nicht stehen. Was würde das auch bringen? Er konnte nicht zurück in die Wohnung gehen.
Er trat auf den kargen Weg vor dem Haus und wartete darauf, dass Niall, der es sich gegenüber auf einer Bank bequem gemacht hatte, zu ihm kam.
»Ich hab doch gesagt, es soll mir niemand folgen.«
»Ich bin dir nicht gefolgt. Ich bin ihr gefolgt«, Niall neigte seinen Kopf zum Haus hin, »der Königin. Nach dem Besuch des Wintermädchens hielt ich das für angebracht.«
»Ja, richtig.« Keenan seufzte. »Ich hätte zusätzliche Wachen hinschicken sollen.«
»Du warst abgelenkt. Und irgendwie ist das ja unsere Aufgabe – auf dich Acht zu geben. Da können wir genauso gut auch anfangen, uns um die Königin zu kümmern«, sagte er ganz selbstverständlich, als hätte ihre Königin bereits ja gesagt.
Aber das hatte sie nicht. Und sosehr Keenan hoffte, dass sie nicht weglief – sicher war er sich nicht.
Während er dort im Hausflur auf sie gewartet hatte – in dem Wissen, dass seine Königin im Bett eines anderen lag und dass sie sterben würde, wenn sie ihn nicht akzeptierte, während andererseits Donia sterben würde, wenn sie ihn doch akzeptierte –, war ihm die ganze hässliche Realität der Situation bewusst geworden. Er musste alles tun, um zu gewinnen, was auch immer es war. Und er durfte keine Zeit mehr verlieren. Er konnte sie nicht zwingen, aber er konnte Elfenmethoden anwenden, ihr zu viel Wein zu trinken geben, Seth drohen … Ashlyn würde ihn akzeptieren. Es gab keine Alternative.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Niall, während sie, die Leibgarde immer in der Nähe, die Straße hinuntergingen. »Du scheinst besser gelaunt zu sein als gestern Abend.«
»Es …«, begann Keenan, unterbrach sich aber sofort selbst. »Ich weiß nicht. Moira war ihre Mutter.«
»Autsch.« Niall verzog das Gesicht.
Keenan holte tief Luft. »Aber es gibt Wege, sie zu überzeugen – Wege, die ich eigentlich nicht gehen möchte.«
»Sind das etwa die Dinge, von denen Tavish gesprochen hat?«, hakte Niall nach.
Obwohl er einen harschen Ton angeschlagen hatte, setzte Keenan eine betont unschuldige Miene auf. »Warum nicht. Ich könnte ihren Sterblichen ins Loft
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