Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Geld verdienen und ihr Leben selbst finanzieren. Also pleite sein. Sie wusste, dass Rabbit auch Ratenzahlungen akzeptierte, aber dann hätte sie zugeben müssen, dass sie nicht genug Geld hatte, und das wollte sie auch nicht.
Besser, ich bin müde, als dass ich mich verkaufe.
Aber in ihrer Müdigkeit vergaß sie aufzupassen, was sie sagte. Als sie und Ashlyn während Riannes Beratungssitzung vor der Schule standen und warteten, entschlüpfte ihr eine boshafte Bemerkung. Riannes Mutter hatte auch die Schule verständigt, weshalb Schwester Isabel Rianne beim letzten Klingeln aufgelauert hatte.
Ashlyn schaute die Straße hinunter. Sie hatte die Arme verschränkt und eine Hand auf den dicken goldenen Armreif an ihrem Oberarm gelegt. Jetzt war er zwar unter Ashlyns Shirt verborgen, doch bereits im Umkleideraum vor dem Sportunterricht hatte er Leslies Aufmerksamkeit erregt. Was tut sie bloß, um all diesen Kram zu bekommen? Leslie glaubte zwar nicht, dass Ashlyn so dumm war, sich für Geld herzugeben, aber in letzter Zeit konnte man wirklich den Eindruck gewinnen, dass Keenans Reichtum in Ashlyns Hände übergegangen war.
Ohne nachzudenken, sagte Leslie zu ihr: »Wartest du auf deinen Lieblingsgespielen oder nur auf die zweite Garde?«
Ashlyn starrte sie an. »Wie bitte?«
»Wer ist heute an der Reihe: Seth oder Keenan?«
»Es ist nicht so, wie du denkst«, gab Ashlyn zurück. Einen kurzen Moment lang sah es aus, als flirrte die Luft um sie herum, wie wenn Hitze vom Boden aufstieg.
Leslie rieb sich die Augen und trat einen Schritt näher an sie heran. »Ich glaube aber lieber, dass es so ist, als davon auszugehen, dass du dich von Keenan benutzen lässt, nur weil er Geld hat.« Sie drückte Ashlyns Arm, genau an der Stelle, wo der Armreif saß. »Die Leute merken das doch. Die Leute reden. Ich weiß, dass Seth mich nicht leiden kann, aber er ist ein guter Kerl. Mach das nicht wegen Blondie und seiner Kohle kaputt, okay?«
»Mein Gott, Les, wieso muss sich eigentlich alles dauernd um Sex drehen? Nur weil du so leicht zu haben warst …« Ashlyn unterbrach sich und sah sie verlegen an. »Tut mir leid. Das hab ich nicht so gemeint.«
»Wie dann?« Leslie war mit Ashlyn befreundet, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren, aber das bedeutete keineswegs, dass sie Ashlyn alles erzählte, jedenfalls nicht mehr. Sie waren sich mal sehr nahe gewesen, aber in letzter Zeit brauchte Leslie Abstand. Und sie wusste nicht, wie sie das Gespräch anfangen sollte, das sie nun schon seit Monaten eigentlich dringend gebraucht hätte. Hallo, Ash, hast du mal den Zettel, der im Literaturunterricht verteilt wurde? Ach, übrigens, ich bin vergewaltigt worden und hab höllische Albträume deswegen. Sie hielt sich tapfer, hatte den Plan gefasst, wegzuziehen und ein neues Leben anzufangen – aber wenn sie sich vorstellte, mit jemandem darüber zu reden, über die Vergewaltigung, dann fühlte sie sich, als würde sie mitten entzweigerissen. Sie spürte einen Schmerz in der Brust. Ihr Magen zog sich zusammen. Ihre Augen brannten. Nein. Ich kann noch nicht darüber sprechen.
»Entschuldige«, sagte Ashlyn noch einmal und umfasste Leslies Arm mit ihrer fast unangenehm warmen Hand.
»Schon gut.« Leslie zwang sich zu lächeln und wünschte sich, diese Gefühle würden verschwinden. Sie sehnte sich immer mehr nach einem Zustand völliger Gefühllosigkeit. »Ich wollte doch nur sagen, dass du mit Seth echt Glück hast. Lass nicht zu, dass Keenan das ruiniert.«
»Seth versteht die Gründe, weshalb ich Zeit mit Keenan verbringe.« Ashlyn biss sich auf die Lippe und schaute suchend die Straße entlang. »Aber es ist nicht so, wie du sagst. Keenan ist ein Freund von mir, ein wichtiger Freund. Das ist alles.«
Leslie nickte. Sie hasste es, dass sie nicht ehrlich über ihr Leben reden konnten, hasste es, dass es selbst in ihren engsten Freundschaften von Halbwahrheiten nur so wimmelte. Würde sie mich mitleidig ansehen? Die Vorstellung, Ashlyn könnte Mitleid mit ihr haben, war grauenvoll für sie. Ich habe es überlebt. Ich überlebe. Also stand sie nur da, wartete weiter mit Ashlyn und leitete zu einem Thema über, bei dem sie beide ehrlich sein konnten. »Hab ich dir schon erzählt, dass ich endlich mein Tattoo bekomme? Die Außenlinie ist schon gestochen. Noch eine Sitzung – morgen –, dann ist es fertig.«
Ashlyn schaute sie mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung an. »Was für ein Motiv hast du dir denn
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