Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Schmerz, der Sorge, der Angst, zu nichts von alldem. Sie wollte Ekstase. Sie wollte spüren, wie ihr Körper in seinen Armen dahinschmolz. Sie wollte dieses wahnsinnige Crescendo der Lust verspüren, das so gewaltig war, dass es sie jedes Mal ohnmächtig werden ließ.
Er schob sie von sich weg, um sie anzusehen.
Sie legte ihre Arme um seinen Hals und machte ein paar Schritte vor, womit sie ihn zum Rückwärtsgehen zwang. »Später werde ich zu trunken sein vor Glück, um meine Hände von dir lassen zu können …« Sie sank zitternd gegen seine Brust bei diesem Gedanken, dieser öffentlichen Beichte, in welchen Zustand er sie versetzen würde. Sie konnte nicht sagen, ob dieses öffentliche Eingeständnis schlimmer oder besser war, als sich selbst hübsche Lügen zurechtzulegen, um ihre Schuldgefühle zu lindern. »Aber es macht Spaß. Hier zu sein. Mit dir zusammen zu sein. Ich würde mich gern an mehr davon erinnern können. Geht das? Dass ich mich besser an die schönen Zeiten mit dir erinnern kann? Mehr an alldem hier Anteil nehmen?«
Da wich die Spannung aus ihm. Er schaute jemanden an, der hinter ihr stand, und gab ihm ein Zeichen. Musik erfüllte den Raum; der Bass dröhnte so laut, dass es sich anfühlte, als wäre er in ihr drin. Sie tanzten und lachten, und für einige Stunden fühlte die Welt sich heil an. Die verächtlichen und bewundernden Blicke auf den Gesichtern der Sterblichen und Elfen waren ihr egal. Für sie gab es nur Irial, nur das Vergnügen. Doch je länger sie bei klarem Verstand war, desto deutlicher erinnerte sie sich an schreckliche Dinge. Sie fühlte nichts, aber die Erinnerungen nahmen eine immer klarere Gestalt an. Dort, in Irials Armen, begriff sie, dass sie die Macht hatte, jeden der Menschen zu zerstören, die ihr Albträume verursacht hatten. Irial würde es tun: Er würde herausfinden, wer sie waren, und sie zu ihr bringen. Es war eine kalte, glasklare Erkenntnis.
Aber sie wollte das nicht, wollte niemanden zerstören. Sie wollte sie einfach nur wieder vergessen. Sogar zu wissen, dass sie eigentlich Schmerz empfinden sollte, war ihr zu viel. »Irial? Gib ihnen Nahrung. Jetzt.«
Sie hörte auf zu tanzen und wartete darauf, dass der Strom der Emotionen sich durch ihren Körper fraß.
»Gabe« war alles, was Irial sagte. Und er löste damit einen Tumult aus. Bananach kreischte auf; Gabriel knurrte. Sterbliche schrien und stöhnten vor Lust und Schmerz. Um sie herum erhob sich eine Kakophonie, die wie ein vertrautes Schlaflied klang.
Irial erlaubte ihr nicht, sich umzudrehen. Er ließ sie nichts und niemanden sehen.
Sterne flackerten in viel zu großer Nähe auf. Einige Augenblicke lang verbrannten sie sie, doch die anschließende Welle der Ekstase ließ sie die Augen schließen. Jede Faser ihres Körpers schrie auf, und sie erinnerte sich an nichts – wusste nichts –, genoss nur das Gefühl von Irials Haut an ihrer.
Einunddreißig
Viele einzelne Bruchstücke der Zeit waren nur undeutliche, leere Stellen in ihrem Gedächtnis, doch sie hatte jetzt häufiger auch klare Phasen. Wie lange geht das alles schon? Ihr Tattoo war seit einer Weile verheilt; ihre Haare waren länger geworden. Oft spürte sie, dass Irial die Verbindung unterbrach, den Fluss der Emotionen stoppte, die die schwarze Ranke entlangglitten, die zwischen ihnen schwebte. An diesen Tagen war beinahe alles gut, geordnet. Doch manche Zeitabschnitte waren nichts als verschwommene Flecke. Wochen?
Sie war bislang noch nie ohne ihn gewesen. Wie lange? Wie lange habe ich … Heute würde sie es tun. Heute würde sie beweisen, dass sie es konnte. Sie wusste aus unzusammenhängenden Erinnerungsfetzen, dass sie es schon häufiger versucht hatte – und gescheitert war –, als sie erahnte. So war ihr Leben jetzt: eine Montage aus Bildern und Empfindungen, und Irial war immer dabei. Er war die Konstante. Selbst als sie jetzt umherging, hörte sie ihn im Nebenraum. Immer in Reichweite. Das war auch gefährlich. Die Rabenfrau wollte das ändern, wollte ihr Irial wegnehmen.
Leslie streifte eins der zahllosen Kleidungsstücke über, die er für sie bestellt hatte, ein langes Kleid, das sich an sie anschmiegte und sie umwogte, wenn sie sich darin bewegte. Wie alles, was er kaufte, war es aus einem Material, das sich beinahe zu sinnlich anfühlte, wenn sie hineinschlüpfte. Wortlos öffnete sie die Tür zum anderen Zimmer.
Er sagte nichts; beobachtete sie nur.
Sie öffnete die Tür zum Flur. Einige Elfen folgten
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