Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
bemerken. Der Schwung ihrer Röcke und die Größe ihrer Schritte waren so vorhersehbar, dass Devlin seine Bewegungen den ihren leicht anpassen konnte. Nach den Äonen, die sie zusammen verbracht hatten, konnte er jede Bewegung der Unveränderlichen Königin voraussagen. Und ich hasse es. Das würde sie in ihrer Welt jedoch nicht laut sagen.
Ihr Bruder existierte schon fast genauso lange wie sie und Bananach. Er war ein Halteseil zwischen seinen Schwestern, beriet die Ordnungsliebende und war der Kriegerischen ein Freund. Von allen drei Positionen empfand er seine als die am wenigsten attraktive, doch Sorcha hätte liebend gern mit ihm getauscht. Er besaß eine Entscheidungsfreiheit, die ihr fehlte. Auch Bananach hatte Freiheiten, doch ihr fehlte die stabile geistige Gesundheit.
»Verzeih, dass ich frage, aber wozu soll es gut sein, dass du ihn gehen lässt? Behalte ihn hier oder töte ihn. Er ist bloß ein Sterblicher. Wenn er geht, verkompliziert das alles. Die anderen Höfe werden in Streit geraten.«
»Seth gehört jetzt mir, Devlin. Er gehört zu meinem Hof, ist mein Untertan, meiner .«
»Da könnte ich Abhilfe schaffen. Er bringt große Risiken mit sich. Dass du so viel für ihn übrighast, ist … gegen die Ordnung, meine Königin.« Devlins Tonfall war ruhig, doch ruhig hieß nicht ungefährlich. Seine hingebungsvolle Liebe zur Ordnung war häufig blutig: Mord war bloß eine andere Form von Ordnung.
»Er gehört mir«, wiederholte sie.
»Er würde auch dir gehören, wenn er in der Erde läge. Lass den Saal sich seiner annehmen. Deine Zuneigung führt nur dazu, dass du dich sonderbar benimmst.« Devlin sah sie an. »Er lässt dich deine Aufgaben vergessen. Du verbringst deine ganze Zeit mit ihm … und dann wird er in das Reich der anderen verschwinden, wo du nicht hingehst. Sollte er nicht zu dir zurückkehren oder sollte die Kriegerische ihn töten, wirst du irrational reagieren, fürchte ich. Es gibt Lösungen. Du kannst die Situation immer noch im Griff behalten. Töte ihn oder behalte ihn hier, wo er sicher ist.«
»Und wenn es genau das ist, was Bananach will?« Sorcha hielt kurz an, um bei Olivia reinzusehen. Die Sternenlandschaften, die sie malte, waren perfekt gearbeitet – gleich weit voneinander entfernte stecknadelkopfgroße Lichter und hier und da ein Aufblitzen von Zufälligkeit. Ein Hauch von Chaos innerhalb der Ordnung – Kunst verlangte danach. Das war auch der Grund, warum echte Elfen vom Hof des Lichts nicht kreativ sein konnten.
Devlin schwieg, während sie Olivia dabei zusahen, wie sie Sterne auf einen himmlischen Spinnfaden aufzog und damit einen Stoff webte, um kleine Stückchen Ewigkeit für kurze Augenblicke zu verankern. Sorcha hegte den Verdacht, dass sie in solchen Momenten neidisch wäre, wenn Neid nicht so ein unordentliches Gefühl wäre. Devlin dagegen war voller Ehrfurcht. Verzehrende Leidenschaft faszinierte ihn, und Olivia wurde von ihrer Kunst aufgezehrt. Sie hatte nur eine hauchzarte Verbindung zur Welt und bewegte sich durch sie hindurch wie eine leichte Brise. Sie sprach zwar, doch niemals während der Arbeit, und auch nur selten, wenn sie an die Arbeit dachte.
Sorcha trat zurück in den Flur.
Als Devlin ihr folgte, sagte sie: »Ich möchte, dass Seth da draußen seine Freiheit hat, aber dabei beschützt wird. Ich möchte, dass er observiert wird, wenn ich nicht bei ihm bin. Ich brauche das, Dev. Niemals in all der Ewigkeit habe ich je um so etwas gebeten.«
»Was siehst du?«
Sorcha redete nicht gern über die Bögen, die sie in Lebenswegen sah. Sie waren vergänglich, selten voraussagbar und immer in Bewegung. Jede Entscheidung führte zu einer Verschiebung und Verfeinerung des gesamten Musters. So wie Bananach sah auch Sorcha Was-wäre-Wenns und Vielleichts. Bananach betrachtete nur jene, die sie ihren Zielen näher brachten; Sorchas Blick umfasste mehr.
»Ich sehe, dass sein Lebensfaden mit meinem verwoben ist«, flüsterte sie. »Er hat kein Ende, keine Knoten und keine Schleifen … und er verändert sich ständig, selbst in diesem Augenblick. Er erscheint und verschwindet wieder. Er umschlingt meinen eigenen; er setzt ihn fort, wo es aussieht, als wäre ich gestorben. Er ist wichtig.«
»Wenn wir ihn ermordet hätten, bevor diese Emotionen deine Logik vernebelten, hätte das die Dinge vereinfacht.«
»Oder sie zerstört.«
Devlin zog die Augenbrauen zusammen. »Du verheimlichst mir etwas.«
Als Sorcha den Mund öffnete, um ihm zu antworten,
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